Spektakuläre
Töne in der jetzt veröffentlichten Begründung des
Bundesverwaltungsgerichts zur prinzipiell erlaubten Abgabe von tödlichen
Mitteln an Suizidwillige: Freitodhilfe durch Natrium-Pentobarbital als
mögliche letzte Therapie – man mag es kaum glauben. Und die Reise zu
einer Schweizer Sterbehilfeorganisation stelle "wegen der damit
verbundenen Belastungen keine zumutbare Alternative" für die Betroffenen
dar. So human klang es selten aus dem Mund Deutscher Richter.
Allerdings mussten sie dafür einige juristische Klimmzüge vollbringen.
Und die Umsetzung des letztinstanzlichen Urteils steht in den Sternen.
Das vom höchsten Deutschen Verwaltungsgericht in Leipzig nunmehr
gemaßregelte Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
ist eigentlich nur zuständig für die Prüfung und Zulassung von
Arzneimitteln. 2004, als es den Antrag der suizidwilligen, vollständig
gelähmten Frau K. mit hohem Querschnitt zurückwies, hätte jeder
Beobachter eine andere Entscheidung - also eine Bewilligung - des BfArM
für völlig abwegig und undenkbar gehalten.
Wieso sollte überhaupt eine Privatperson dort ein Mittel käuflich
erwerben können – wie es zum jetzigen Stand schon etwa zwei Dutzend
weitere Menschen beantragt haben? Die Einstiegslücke musste überhaupt
erst einmal herausgefunden und erkannt werden.
Im § 3 Absatz 1 Betäubungsmittelgesetz heißt es recht lapidar:
(1) Einer Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte bedarf, wer
1. Betäubungsmittel anbauen, herstellen, mit ihnen Handel treiben,
sie, ohne mit ihnen Handel zu treiben, einführen, ausführen, abgeben,
veräußern, sonst in den Verkehr bringen, erwerben oder
2. ausgenommene Zubereitungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) herstellen will.
Demnach könnte der Antrag eines Suizidwilligen ungefähr so lauten:
"Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit beantrage ich eine
Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Absatz 1 Betäubungsmittelgesetz, um das für
meine Selbsttötung risikolos und am besten geeignete
Natrium-Pentobarbital in einer Apotheke erwerben zu dürfen. Ich habe
eine metastasierende Krebserkrankung, leide unter Erbrechen und
ständigen Schmerzen, die nicht behandelbar sind. Mein Hausarzt kann das
bestätigen. Eine vom Bundesverwaltungsgericht vorausgesetzte Ausnahme
lieg somit vor."
Nun liegt die ausführliche schriftliche Begründung
vor. Dort lautet ein Leitsatz, wonach der staatliche Lebensschutz –
gemäß des einschlägigen Urteils des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte – jedenfalls nicht ausnahmslos und ungeprüft gelten darf:
"Ein ausnahmsloses Verbot, Natrium-Pentobarbital zum
Zweck der Selbsttötung zu erwerben, greift in das grundrechtlich
geschützte Recht schwer und unheilbar kranker Menschen ein,
selbstbestimmt darüber zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr
Leben enden soll.
… Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die
Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde sichern gemäß
Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG jedem Einzelnen einen autonomen
Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität
entwickeln und wahren kann … Dazu gehört, dass der Mensch über sich
selbst verfügen und sein Schicksal eigenverantwortlich gestalten kann
..."
Das Bundesinstitut (BfArM) hat nun zu beurteilen, ob der vom Gericht
umschriebene Ausnahmefall vom prinzipiell geltenden Verbot vorliegt.
Wie
bereits bei Urteilsverkündung im März deutlich geworden war, sind die
Voraussetzungen an drei wesentliche Kriterien gebunden:
Erstens muss sich dem Urteil zufolge der Antragsteller in einer
extremen Notlage befinden - also unter einer schweren, unheilbaren
Krankheit leiden, die mit "gravierenden körperlichen Leiden,
insbesondere starken Schmerzen verbunden ist".
Zweitens muss er zu einer
freien, ernsthaften Entscheidung in der Lange sein.
Und drittens: Es
darf keine andere "zumutbare Möglichkeit zur Verwirklichung des
Sterbewunsches" zur Verfügung stehen, wie etwa das Abschalten von
lebenserhaltenden Maschinen - welches aber dann auch zu einem humanen,
schnellen Tod führen müsse. Das kann bei Beendung einer künstlichen
Beatmung nicht immer garantiert werden, wenn z. B. doch eine
Spontanatmung wieder einzusetzen beginnt.
Das Leipziger Gericht schreibt: "Der Senat verkennt nicht, dass dem
BfArM schwierige Bewertungen abverlangt werden und seine Entscheidung
einen in hohem Maße sensiblen Bereich betrifft". Dies gelte umso mehr,
als es wegen der Entscheidung über hochrangige Rechtsgüter einer
"besonders sorgfältigen Überprüfung" bedürfe. Beim Abbruch
lebenserhaltender Maßnahmen sei das aber nicht anders. Im Zweifel müsse
man eben Sachverständige hinzuziehen. Denn: "Die staatliche Gemeinschaft
darf hilflose Menschen nicht einfach sich selbst überlassen", so die
Richter.
Einer, der die Schwere des Leidens seit Jahren untersucht, ist der
Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns: "Ich frage meine Patienten: Wie
stark leiden Sie unter Atemnot und unter Schmerzen", erläutert er. "Da
gibt es eine Skala von 0 bis 10, und der Patient beurteilt das selber.
Wenn ein Patient sagt, das ist 10 - unerträglich stark, dann heißt das:
unerträglich stark." Gegen Thöns wird argumentiert: Wenn Patienten über
die Palliativmedizin und Hospizversorgung körperliche und seelische
Schmerzen genommen werden, dann könnte die Skala schnell wieder runter
auf 2 oder 3 gehen.
Objektivierbare Kriterien gibt es aber nach übereinstimmender
Auffassung nicht oder kaum – auch nicht, was die Zumutbarkeit einer
Alternative betrifft. Was eine oft als Gegenargument gegen die
Suizidhilfe bemühte dauerhaft tiefe, sog. terminale Sedierung betrifft:
Wo würde die wohl verlässlich zur Verfügung stehen? Umso mehr bleiben
die subjektiven Kriterien maßgeblich. Das hat offenbar auch das Gericht
im Auge, wenn es gegen Ende der Begründung zum beanstandeten Entscheid
des Bundesinstituts ausführt: "Die Feststellung, dass das BfArM zur
Erlaubniserteilung verpflichtet gewesen wäre, lässt sich ohne die
erforderliche Sachverhaltsprüfung und -aufklärung nicht treffen. Das
kann nach dem Tod von Frau K. nicht mehr nachgeholt werden. Insbesondere
die Frage, ob zumutbare Alternativen zur Verfügung gestanden hätten,
ist ohne ihre Beteiligung nicht mehr zu klären." Das beträfe etwas die
Frage, ob sie einen palliativmedizinisch begleiteten freiwilligen
Verzicht auf Nahrung für sich als zumutbar angesehen hätte.
Doch wäre nicht ein solches regelmäßiges "Alternativangebot" eine
Suizidförderung und damit nach § 217 StGB strafbar? Die Leipziger
Richter wollen das nicht sehen. Sie glaube auch nicht, dass ihr Urteil
dem Sterbehilfegesetz im § 217 StGB zuwiderläuft. Denn sie betonen: Ohne
Ausnahmefall keine tödlichen Medikamente. Also könne auch kein
"Anschein von Normalität" entstehen. Zudem würde die Behörde selbst gar
nicht geschäftsmäßig tätig werden können – was ja allein strafbar ist.
Noch kühner wirkt ein weiterer Klimmzug des Gerichts: dass nämlich
der Staat in die Freiheit zum selbstbestimmten Sterben eingreift, indem
er den Zugang zu den tödlichen Medikamenten beschränkt. Das Gericht
räumt ein: "Es kann dahinstehen, ob darin ein Eingriff im klassischen
Sinne zu sehen ist." Und schließlich ein dritter Klimmzug: Die Richter
müssen ihr Urteil mit den maßgeblichen Vorschriften des
Betäubungsmittelgesetzes in Einklang bringen. Danach dürfen Mittel wie
Natrium-Pentobarbital nur zu Therapiezwecken herausgegeben werden. In
einer extremen Notlage, so das Gericht, "kann die Anwendung eines
Betäubungsmittels zur Selbsttötung ausnahmsweise als therapeutischen
Zwecken dienend angesehen werden".
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat keine
Eile, sich mit den mittlerweile vorliegenden Anträgen auf eine tödliche
Medikamentendosis zu befassen. Einfach genehmigen geht wohl ohne
verwaltungsmäßige Ausführungsbestimmung nicht, andererseits sind bei
Ablehnung neue Klagen zu erwarten. Denn das Urteil ist rechtskräftig und
gewährt Patienten einen juristisch durchsetzbaren Anspruch.