Der rheinische Präses Manfred Rekowski hat in einer Predigt davor gewarnt,
die Bedeutung der christlichen Botschaft an den Mitgliedszahlen der Kirchen
zu messen. Die Bibel bliebe selbst dann relevant, wenn die Kirche eine kleine,
gesellschaftlich nicht mehr relevante Gruppe würde.
"Es ist eine
neue Erfahrung, zur Minderheit zu werden, aber die Worte des ewigen Lebens erreichen
uns weiter." Trotz der sinkenden Mitgliedszahlen seien die evangelischen
Christen "weder von Depression noch von einer Lähmung erfasst worden",
sagte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland. Gott lasse
"das Werk seiner Hände nie fahren", auch keine schrumpfenden
Gemeinden. "Ob wir nun zu einer schrumpfenden oder zu einer wachsenden
Kirche gehören, wir alle gehören zu einer Kirche mit unbeschränkter
Hoffnung".
Soweit diese aktuelle evangelische Wahrheit. Für
Leute, welche tatsächlich an die Christenlehre glauben und ihr Leben darauf
aufbauen und ausrichten, hat es wohl wirklich keine besondere Bedeutung, ob
das nun einige hundert Menschen tun oder hunderte Millionen. Heute ist der Übergang
dazu ja ohnehin weitschleifend. Personen wie der Herr Präses leben als
Funktionäre in und für eine Religionsgemeinschaft, wer zwar noch die
Kirchensteuer zahlt, sich um das Ganze jedoch überhaupt nicht mehr kümmert,
zählt nur noch für die Statistik. Wenn diese Leute die Kirche auch
rechtlich verlassen, ändert das an ihrem Leben nichts mehr - außer
dass sich vielleicht die Oma darüber ärgert.
Die Protestanten
merken es ja viel stärker, dass die Kirchenmitglieder dahinschwinden,
1990 im wiedervereinigten Deutschland gab es noch 29.422.000 evangelische Kirchenmitglieder,
2015 waren es bloß noch 22.272.000, also um 7,15 Millionen weniger. Bei
den Katholiken war im selben Zeitraum der Rückgang von 28.525.000 auf 23.762.000,
also ein Minus von 4,67 Millionen, Prozentuell ausgedrückt sind von den
100 % von 1990 bei den Protestanten noch rund 75 % vorhanden, bei den Katholiken
sind es aber noch 83 %.
Wie hier schon oft geschrieben: die protestantische
liberale Unverbindlichkeit macht den protestantischen Kirchenaustritt deutlich
einfacher als den katholischen. Von familiären und gesellschaftlichen
Traditionen bis zur Pascalschen Wette*) findet die katholische Kirche bessere
Bedingungen vor.
Dem Präses Rekowski ist es klar, dass der Mitgliederstand weiterhin
und wohl im steigenden Ausmaß schrumpfen wird, er wendet sich mit seiner
Botschaft allerdings nicht an Austreter, sondern an die noch Verbliebenen, denen
will er damit einen besseren Gemeinschaftsstatus, ein bindendes "WIR"
vermitteln, das Bekenntnis zur Bibel soll den Selbstwert der Betroffenen stärken,
sie zu etwas Besonderem, was Ungewöhnlichem, was Außerordentlichem
machen. Das kann im kleinen Kreis von solchen Auserwählten durchaus funktionieren:
es hat ja schließlich eindeutig sektenhaften Charakter!
Auch ein "Zeuge
Jehovas", der predigend von Tür zu Tür geht und am Hauptbahnhof
"Erwachet" in die Höhe hält, ist ein von Gott Auserwählter!
(Zufällig im Internet gefunden, die Titelseite einer Ausgabe aus dem
Jahre 1969! Passt auf 2017 viel besser!)
*) der Mathematiker und katholische Philosoph Blaise Pascal hatte im 17. Jahrhundert argumentiert: Wenn man an Gott glaubt und Gott existiert, dann wird man mit dem Himmel belohnt, wenn Gott nicht existiert, gewinnt und verliert man nichts, glaubt man nicht an Gott, und Gott existiert nicht, gilt dasselbe, aber wenn man nicht an Gott glaubt und Gott existiert, dann wird man bestraft mit der ewigen Verdammung in die Hölle, also ist es zwecks Höllenvermeidung vernünftiger vorsichtshalber an Gott zu glauben...