Pfarrer Prim: Der kürzlich verstorbene Kardinal Meisner hat einmal
in einem Interview die Frage gestellt: "Ist Gott abhanden gekommen?"
Zu meinem Alltag gehören Seelsorgegespräche, Vorbereitung von Kasualien
(Spendung von Sakramenten), und oft kommt dann still in mir die Frage auf: "Ist
der Glaube am Verdunsten?" Es ist immer wieder notwendig, die soziale Komponente
des Glaubens anzumahnen; vor allem der christliche Glaube will und muss sich
stets im täglichen Miteinander in den Herausforderungen, Konfliktsituationen
und leidvollen Erfahrungen bewähren. Es gehört zu den schmerzlichen
Erfahrungen, dass Christen diese horizontale Ausrichtung ihres Glaubens oft
vernachlässigen, so dass schnell eine Schieflage entsteht.
Atheistischer
Kommentar: Ja, mein Lieber, für die horizontale Ausbreitung des Glaubens
braucht der Glaube eben ein möglichst dichtes Netz von praktizierenden
Gläubigen. Wenn der Glaube verdunstet, dann bekommt das Glaubensnetz immer
größere Löcher, das Problem liegt somit nicht an einer nicht
ausgeübten sozialen Komponente, sondern am Mangel an Gläubigen, es
verdunstet also zuerst der Glaube, dann fehlen klarerweise die Gläubigen.
Nach der Eingliederung der DDR besuchten in Deutschland im Jahr 1990 noch 6,2
Millionen Katholiken regelmäßig die Sonntagsmesse, 2015 waren es
nur noch 2,5 Millionen, also ein Rückgang um sechzig Prozent! Der katholische
Glaube wird immer vertikaler, weil der horizontale Bereich im säkularen
Tauwetter versinkt! Das ist die schmerzliche Erfahrung, die der Herr Pfarrer
als solche erkennen müsste, weil dagegen kann er gar nichts mehr tun, Appelle
an Desinteressierte bewirken nix!
Pfarrer Prim: Andererseits besteht
heute die große Gefahr, dass viele die vertikale Linie des Glaubens aus
dem Blick verlieren. Dort wo sich Christentum nur mit menschlichem Tun und Äußerlichkeiten
erschöpft, droht die andere Schieflage, droht der Glaube an Christus zu
verdunsten. Damit Gott nicht abhanden kommt, ist es für uns wichtig, dass
wir uns immer wieder zu Jesus Christus bekennen, die Beziehung zu ihm pflegen
und nicht aufhören, ihn zu suchen. Wo dieser Bezug zu ihm fehlt, dreht
sich das Glaubens- und Lebensrad im Leerlauf.
Atheistischer Kommentar:
Umso schlimmer für die Religion! Menschen, die ihre Selbstbestätigung
in sozialem Engagement suchen und finden, brauchen dazu nur einen Wirkort, wo
sie dieses Verhalten ausleben können, aber nicht unbedingt eine vertikale
Beziehung zu einem Gottessohn. Wenn wer irgendwo als Freiwilliger und unbezahlt
mithilft, dann tut er das ja nicht unbedingt aus Gottesliebe, sondern viel eher
zur Anerkennung seiner Leistungen durch seine Umwelt oder zumindest wegen der
Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft! Ein freiwilliger Rettungsfahrer oder
Feuerwehrmann macht so was nicht für'n Jesus!
Pfarrer Prim: Das
persönliche Gebet, die Auseinandersetzung mit der biblischen Botschaft
und vor allem auch das Mitfeiern von Gottesdiensten wollen helfen, den Glauben
zu bewahren und zu festigen. Die biblischen Texte am Wochenende wollen uns darauf
hinweisen, Gott schenkt uns Menschen ein grenzenloses Erbarmen, wenn der Mensch
ihm ein grenzenloses Vertrauen schenkt. Vertrauen, Glaube und Gebet sind jene
Mächte, die die Welt verwandeln, weil sie auch bewirken, dass Gott sich
der Welt erbarmend zuwendet. Betende Hände greifen in die Geschichte ein,
sie wollen das Herz Gottes erreichen und sein grenzenloses Erbarmen erbitten.
Wir Christen müssten erkennen, dass wir das Erbarmen Gottes brauchen, wenn
wir Rettung oder Heil wollen.
Atheistischer Kommentar: Der Herr Pfarrer
dreht das Rad weiter im Kreis herum, der barmherzige Gott barmherzigt die Menschen
und tauscht mit ihnen grenzenloses Vertrauen aus, dass der böse Gott die
Sünder und Ungläubigen vor einigen Jahrzehnten noch ins ewige Höllenfeuer
schmiss, ist aus der Glaubensverkündigung gestrichen worden. Pfarrer Prim
droht nur noch ganz vorsichtig: wir bräuchten das Erbarmen Gottes für
unser Heil. Und das Erbarmen müssten wir uns betend erseufzen und erbetteln.
Aber das funktioniert nimmer wirklich, die biblischen Botschaften interessieren
die Masse der Leute inzwischen so intensiv, wie griechische oder germanische
Göttersagen. Statt auf den Himmel zu hoffen, lebt man lieber gut auf Erden.
Gott ist abhanden gekommen, der Glaube verdunstet, Religion ist immer mehr over
and out!