Eine Geschichte aus Schilda

Gerald Oberansmayr, September 2017, auf www.solidarwerkstatt.at

Private Public Partnership



Angeblich soll der EU-Fiskalpakt ja für "solide öffentliche Finanzen" sorgen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Er zwingt die Gemeinden in die Privatisierung der Infrastrukturen durch sog. PPP-Projekte (Public-Private-Partnerschaft). Die Folgen: Die Investitionen werden bis zu 30% teurer, dafür haben die Gemeinden sehr viel weniger mitzureden.

Der EU-Fiskalpakt – bzw. der darauf beruhende österreichische Stabilitätspakt - verpflichtet die österreichischen Gemeinden ab 2017 zum sog. "Nulldefizit". Die kommunalen Investitionen sind bereits in der Vergangenheit seit dem EU-Beitritt deutlich zurückgegangen – von 1,4% auf rd. 0,6% des BIP. Der verschärfte Spardruck trifft also auf einen großen Bedarf an Investitionen in Instandhaltung und Ausbau von Infrastrukturen – Kindergärten, Schulen, sozialer Wohnbau, Sozial- und Gesundheitseinrichtungen, Wasser, Abfall, Öffentlicher Verkehr, Kultur- und Freizeiteinrichtungen, uvm.

Wie gehen die Gemeinden mit diesem Dilemma um?
Im aktuellen "Finanzrahmen sowie Strategiebericht der Stadt Wien 2017 - 2022" findet man dazu eine interessante Aussage: "Wien wird sich auf politischer Ebene weiterhin für eine ‚'Golden Rule' einsetzen, also für eine Ausnahme von Investitionen aus den Fiskalregeln, um hier den nötigen Spielraum zu schaffen. Derzeit ist eine derartige Ausnahme allerdings nicht absehbar. Aufgrund dieser Situation greift die Stadt Wien zur Beschaffung und Finanzierung von Großprojekten vermehrt auf den Schuldenstand schonende Lebenszyklusmodelle zurück." (Budget 2017, Seite XIV1) Hinter dem scheinbar harmlosen Begriff "Lebenszyklusmodell" versteckt sich die Privatisierung der kommunalen Infrastrukturen - durch die Hintertür der sog. PPP-Projekte (Public-Private-Partnerschaft). Das heißt: Ein privates Unternehmen wird mit dem Bau und Betrieb einer Infrastruktur über den ganzen "Lebenszyklus" betraut (z.B. 20 bis 30 Jahre), die öffentliche Hand zahlt dem privaten Eigentümer dafür ein Mietentgelt. Damit kann die Gemeinde ihre Schlinge aus den EU-Defizitvorgaben ziehen. Denn nunmehr werden nur die jährlichen Mietentgelte dem Defizit zugerechnet. Würde die Gemeinde die Investitionen dagegen selbst durchführen und Eigentümer der Infrastruktur bleiben, würde die EU sofort das gesamte Investitionsvolumen in das Defizit einrechnen.

Für die Gemeinden bzw. die öffentlichen Budgets sind diese PPP-Projekte mehrfach fatal:

Die Investition kommt in der Regel um vieles teurer, wenn sie als PPP-Projekt abgewickelt wird. Denn öffentliche Haushalte haben viel günstigere Refinanzierungsbedingungen. Private Investoren müssen bis zu 4% höher Zinsen zahlen. Klarerweise rechnen sie diese höheren Finanzierungskosten in die "Mietentgelte" ein, die ihnen die öffentliche Hand zu zahlen hat. Diese Kosten erhöhen sich nochmals durch die Aufsetzung kompliziertester Vertragswerke, die oftmals mehr als 20.000 Seiten umfassen, in denen das Verhältnis zwischen privatem Eigentümer und öffentlichem Nutzer detailreich geregelt wird. Beratungsfirmen und Anwaltskanzleien verdienen daran ein kleines Vermögen. Transparenz ist dabei ein Fremdwort, denn Verträge mit Privaten unterliegen zumeist der Geheimhaltung.
Die öffentliche Hand verliert maßgeblich an demokratischen Einflussmöglichkeiten auf die Nutzung, die laufende Ausgestaltung und flexible Weiterentwicklung von Infrastrukturen, da diese eben einem Privaten gehören. Und dieser will vor allem eines: Kosten sparen, um mehr Gewinn zu machen. Jede zusätzliche Investition bzw. Adaptierung von Einrichtungen kann nicht einfach beschlossen werden, sie muss dem privaten Eigentümer mühsam abgerungen werden. Die jahrzehntelange Bindung an ein Unternehmen gibt diesen auch ein enormes Erpressungspotential gegenüber den Gemeinden in die Hand. Und das kann teuer werden. So hat in der BRD der Landkreis Offenbach die Sanierung und Instandhaltung von 91 Schulen mit insgesamt 500 Schulgebäuden als PPP realisiert. Die ursprünglich vereinbarten jährlichen Kosten von 52,1 Mio sind mittlerweile auf 82,2 Mio geklettert. Bis 1919 sollen es dann 95,1 Millionen sein. Eine satte Kostensteigerung um 82%.
Das Interesse des Privaten an Kostensenkungen gefährdet die Qualität von Infrastrukturen und Arbeitsbedingungen. Schlimmstes Beispiel in dieser Hinsicht war die Privatisierung des britischen Schienennetzes, das zu einer regelrechten Verlotterung der Infrastruktur und eine starken Zunahme von tödlichen Eisenbahnunglücken führte. Auch für die Beschäftigten hat das negative Auswirkungen. Denn der Kostendruck wird entsprechend an die Beschäftigten bzw. Subunternehmen weitergereicht.
Nutznießer solcher PPP-Projekte sind in der Regeln nur einige wenige private Großkonzerne, die zunehmend den Infrastrukturmarkt beherrschen, denn solche langfristigen "Lebenszyklusmodelle" können in der Regel nur die ganz Großen stemmen. Widerstand gegen PPP kommt daher nicht nur von Gewerkschaften, sondern auch von klein- und mittelbetrieblichen Unternehmen, die bei solchen Vergabemodellen zumeist durch die Finger schauen. So hält der Raumplaner und Bürgermeister von Münster (BRD) Gerhard Joksch gerade einmal ein Promille (!) der Bauunternehmen für PPP-fähig. Joksch: "PPP ist eine Kampfansage an Klein- und Mittelbetriebe." (Standard, 7.12.2014)

Eine Geschichte aus Schilda

DI Christoph Mayerhofer, Sektionsvorsitzender der Architektenkammer, beschreibt plastisch die Auswirkungen von PPP-Projekten: "Man stelle sich vor, jemand möchte, um für die Zukunft seiner wachsenden Familie vorzusorgen, ein Eigenheim errichten. Die Bonität ist erstklassig, er zahlt Kredite stets pünktlich zurück und seine Vermögenswerte übersteigen die aufzunehmende Summe um ein Vielfaches. Die Banken reißen sich darum, ihm ein äußerst günstiges Darlehen zu momentan minimalen Zinsen anzubieten. Dennoch zwingt ihn der Gesetzgeber, die Wohnung über einen "Partner" errichten und betreiben zu lassen, wodurch sie um fast ein Drittel teurer wird und er niemals die volle Verfügung über seinen Wohnraum erlangt. Eine Geschichte aus Schilda? Keineswegs, der Sachverhalt beschreibt ziemlich genau die Situation, in der sich Länder und Gemeinden in der EU heute bei Investitionen in Bauten für die Zukunftsvorsorge der Bevölkerung befinden, etwa für Schulen oder Krankenhäuser. ... Dass…, wie im Falle der Stadt Wien, die öffentliche Hand als Triple-A-Schuldner dazu gezwungen wird, eine für den Steuerzahler ungleich teurere Finanzierung im Umweg über ein privates Unternehmen zu wählen, lässt an den guten Geistern der Brüsseler Gesetzgeber doch einigermaßen zweifeln".

Wien investiert zum Beispiel derzeit in die Errichtung von zehn neuen Campusschulen. Um aber nicht in Konflikt mit den EU-Fiskalvorgaben bzw. der EU-Kommission zu geraten, werden diese Bauten als PPP-Projekte realisiert. Die privaten "Partner" sind ein Konsortium aus Porr Solutions Immobilien- und Infrastrukturprojekte GmbH und Bank Austria Real Invest GmbH. Bernhard Sommer, Vizepräsident der Architektenkammer rechnet vor, was das zusätzlich kostet: "Das Budget der Stadt wird durch die in Maastricht vereinbarten Maßnahmen zur Eindämmung der Schulden um 20% bis 30% mehr belastet - bei nahezu völliger Aufgabe der Einflussmöglichkeiten und Kontrollmöglichkeit der öffentlichen Hand auf das, was mit dem Geld passiert" (2). Das Gesamtvolumen dieses PPP-Projekts wird auf knapp 700 Millionen Euro veranschlagt, der PPP-Aufschlag von 20% bis 30% macht also rund 140 bis 210 Millionen Euro an zusätzlichen Kosten aus, die der/die Steuerzahler/in berappen darf. Für private Kapitalgeber sind PPP-Projekte freilich attraktiv, da sie ähnlich sicher wie Staatsanleihen sind, im Unterschied zu diesen aber einen deutlich höheren Ertrag abwerfen.

Mehr zahlen, weniger mitreden

Der EU-Fiskalpakt wurde uns als Instrument verkauft, um für "solide öffentliche Finanzen" zu sorgen. Doch der Zwang, der durch diese EU-Vorgaben in Richtung Privatisierung der Infrastrukturen ausgeübt wird, zeigt, dass es genau darum nicht, sondern um etwas ganz anderes geht: Die öffentlichen Schulden werden längerfristig sogar deutlich mehr, weniger wird die demokratische Verfügungsgewalt über die Organisation zentraler Infrastrukturen. Unter dem Vorwand von Defizit- und Schuldenbekämpfung findet eine enorme Macht- und Gewinnverschiebung zugunsten privater Großkonzerne und der EU-Technokratie statt.

Demokratie erfordert Souveränität

Genau solche Fragen werden im aktuellen Wahlkampf weitestgehend ausgeblendet. Der US-amerikanische Linguistik Noam Chomsky hat diese Form der "Post-Demokratie", wie sie insbesondere in Wahlkämpfen inszeniert wird, folgendermaßen charakterisiert: "Der schlaueste Weg, Menschen passiv und folgsam zu halten, ist, das Spektrum akzeptierter Meinungen strikt zu limitieren, aber innerhalb dieses Spektrum sehr lebhafte Debatten zu erlauben." Solange der Ausbruch aus den EU-Vorgaben wie etwa dem Fiskalpakt tabuisiert wird, kann von einer ernsthaften Demokratie nicht die Rede sein. Denn für eine ernsthafte Demokratie ist es unerlässlich, dass die gewählten MandatarInnen – vom Bund bis zu den Gemeinden – sich aus dieser Entmündigung befreien und souverän über öffentliche Budgets, Investitionen und deren laufende Nutzung entscheiden können.