In einer neuen Studie untersucht Dr. Lorenzo Vidino, Direktor des
Program on Extremism der George Washington Universität (Washington,
D.C.), die Muslimbruderschaft in Österreich und belegt, wie die
international tätige, islamistische Bewegung auch in Österreich aktiv
ist und hier über beträchtliche Verbindungen und Einfluss verfügt.
Erstellt wurde die Studie in Zusammenarbeit mit der Universität Wien
(Institut für Orientalistik), unterstützt vom Bundesamt für
Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) sowie dem
Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF).
Weitverzweigtes Netzwerk in Europa
Die
Muslimbruderschaft, 1928 in Ägypten gegründet, verbreitet sich bereits
seit den späten 1950er und frühen 1960er Jahren auch in vielen
westlichen Ländern. Ziel der Muslimbruderschaft ist die graduelle
Islamisierung der Gesellschaft. Zu diesem Zweck hat die
Muslimbruderschaft in vielen europäischen Staaten inzwischen ein
Netzwerk aus sozialen Organisationen, Bildungseinrichtungen und
Unternehmen aufgebaut. In mehreren Staaten des Nahen Ostens wie etwa in
Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten wird die
Muslimbruderschaft als Terrororganisation klassifiziert.
Vertreter/innen muslimbrudernaher Organisationen zentrale Ansprechpartner
"Aufgrund
ihrer starken Vernetzung und professionellen Struktur, sind Anhänger
der Ideologie der Muslimbruderschaft bzw. ihr nahestehende
Organisationen in den vergangenen Jahrzehnten vermehrt zu
Ansprechpartnern für westliche Eliten innerhalb der muslimischen
Community geworden", erklärt Studienautor Vidino, der sich seit 15
Jahren mit den Aktivitäten muslimbrudernaher Organisationen im Westen
sowie mit Mobilisierungsdynamiken dschihadistischer Netzwerke
beschäftigt. Seine Untersuchung belegt nun erstmals ausführlich die
Präsenz und Vernetzung der Muslimbruderschaft in Österreich.
Schlüsselrolle im Bildungsbereich
Auch
übernahmen der Muslimbruderschaft nahestehende Personen und
Organisationen Schlüsselpositionen für das Leben von muslimischen
Zuwander/innen in Österreich, betont Vidino, "so steht etwa die IRPA –
verantwortlich für die Ausbildung von islamischen Religionslehrer/innen –
aufgrund verschiedener Verbindungen zur Muslimbruderschaft zweifellos
unter deren Einfluss." Auch bei der Aufnahme der in Österreich in den
letzten Jahren vermehrt ankommenden Asylsuchenden aus mehrheitlich
muslimischen Ländern haben Organisationen und Personen mit Verbindungen
zur Muslimbruderschaft zentrale Rollen eingenommen. "Ihre Bestrebungen
laufen jedoch den Maßnahmen der österreichischen Politik zuwider, da
ihre Werte in Widerspruch zu den rechtstaatlichen Werten Österreichs
stehen", betont Vidino.
Muslimbruderschaft zielt auf Spaltung der Gesellschaft in Österreich ab
"Die
Muslimbrüder zielen auf eine Spaltung der Gesellschaft und eine
Stärkung des Einflusses des politischen Islam ab", so Studienautor
Vidino. So würde etwa eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam
kategorisch als "Islamophobie" abgelehnt. "Das geht bis hin zur
Rechtfertigung von Gewalt – eine Haltung, die ein förderndes Umfeld für
Radikalisierung darstellt." Anti-muslimische Vorfälle würden in den
letzten Jahren zunehmend auch in Österreich von islamistischen Kreisen
bewusst überzeichnet und zur verstärkten Propagierung einer "Wir gegen
Sie"-Haltung genutzt. "Gerade vor dem Hintergrund des starken Anstiegs
von islamischer Radikalisierung in Europa muss die Verbreitung des
Narrativs der Muslime als Opfer mit Sorge betrachtet werden", betont
Studienautor Vidino.
Die gesamte Studie "Die Muslimbruderschaft in Österreich" steht auf der
Website des Program on Extremism der George Washington University unter in englischer Sprache zum Download zur Verfügung.
Die Ergebnisse der Studie sind keine Überraschung, sondern bestätigen nur
das, was Dr. Amer Albayati und ich u.a. im 3. Kapitel seines Buches "Auf der Todesliste des IS" (Von der Muslimbruderschaft zum IS
- Gefährdungspotentiale für Österreich und Europa) ausgeführt haben, da
Österreich (und Deutschland) Hotspots des europäischen Netzwerkes der MB waren
und sind.
Derzeit erleben wir etwa eine Ausbreitung der MB in Ostdeutschland, weil die MB dort nicht so bekannt ist. Siehe zum Gefährdungspotential der MB auch unsere Beiträge im ILMÖ Jahresbericht 2016.
Dr. Vidino, ein international renomierter Kenner der MB, hat schon 2011 ein
Paper über die MB in Europa veröffentlicht. Ebenso im gleichen Jahr eine weitere Studie zu dem Thema bei RAND. Aber schon 2005 warnte er vor den Plänen der MB in Europa. Ein inzwischen
als Klassiker einzuordnender Text zum Thema.
Auch wenn die MB in Europa primär zum legalistisch agierenden Islamismus
gezählt wird, der keine Gewalt zur Zielerreichung propagiert und anwendet,
stellen die Netzwerke eine Gefährdung der inneren Sicherheit aller europäischen
Länder dar, weil ihre Aktivitäten darauf gerichtet sind, sich von der
Mehrheitsgesellschaft abschottende Gegengemeinschaften zu bilden (Konzepte von
al-Wa'laa wa-l-Ba'raa und al-Hisba), wo schariahtische Grundsätze herrschen, um
irgendwann in der Zukunft ein Chalifat in Europa zu errichten.
Dabei muss man sich von der Vorstellung lösen, die europäischen Netzwerke
wären aller mit der Mutterorganisation in Ägypten verbunden, da zum einen die MB
Netzwerke in Europa im jeweiligen Land eine spezifische Entstehungsgeschichte
besitzen. Und es zum anderen primär um die Verbreitung der Ideologie geht, die den
Islam als Einheit von Religion und Staat (al-Islam huwa Din wa Daula)
propagiert, der den Westen in allen Belangen überlegen ist, womit der Islam in
MB Auslegung die Lösung aller Probleme beinhaltet (al-Islam huwa al-Hall), wenn
er in einer sozial-integrativen und ökonomisch-gerechten Nizam Islami
(Islamische Ordnung) Gestalt annimmt.
Wie so eine Nizam Islami unter MB Ägide aussehen würde, hätte Ägypten
gezeigt, wenn der heutige Ra'is el-Sisi die MB damals nicht gestürzt, ihre
Partei verboten und die Strukturen der MB zerschlagen hätte, weil die
Verfassungsvorstellungen der MB auf die Errichtung einer islamischen Nomokratie
innerhalb eines schariahtischen Rahmens gerichtet waren, wo keine
Geschlechtergleichheit im sozialen Raum und keine Gleichheit der Religionen
vorgesehen war, weil das alles "Verwestlichung" gewesen wäre.
Siehe hierzu die Ausführungen zum damaligen Artikel 219 der geplanten
Verfassung, S.33ff. .
Insoweit war, ist und bleibt die MB in Ägypten eine islamistische
Organisation, die nie eine Versöhung zwischen islamischer Tradition und Moderne
angestrebt hat, weil die westliche Moderne = "Verwestlichung" als Wurzel
aller negativen Entwicklungen in der islamisch geprägten Welt angesehen
wird.
Die Einstufung macher medial bekannter "Experten" von der MB als "gemäßigte
Islamisten" braucht daher nicht weiter thematisiert zu werden, weil die MB
Islamisten sind, die im Gegensatz zum Salafi Dschihadismus/ militanter
Islamismus derzeit keine Gewalt propagieren und ausüben, weil man legalistisch
(unter Ausnutzunge der Freiräume, die von der jeweiligen Verfassung gewährt
werden) mehr erreichen kann.
Das ändert aber nichts an ihren Zielen in Europa, die daruf gerichtet sind,
die hier geltenden verfassten Ordnungen im Zeitablauf zu überwinden.
Das gilt ebenso für die Akteure der MB in Europa, die in der Regel keine
offiziellen Mitglieder der MB in Ägypten sind, da hinter ihrem Image als "jung
und modern" die MB Ideologie steht, die sich im Kern seit 1928 nie geändert
hat.
Insgesamt gesehen, sind jetzt die politisch-gesellschaftlichen
MUlitplikatoren und Entscheidungsträger auf nationalstaatlicher und europäischer
gefagt, weil es um die Frage geht, wie man der MB in Europa in Zukunft begegnet,
um ihren gesellschaftlichen, sozialen und politischen Einfluss auszutrocknen,
der sich über Jahrzehnte in Teilen der muslimischen Communities verankern
konnte, während westliche "Eliten" in Politik, Kirche und Gesellschaft willige
Erfüllungsgehilfen der MB spielten.
Es gilt somit das, was Dr. Albayati seit Jahren anmahnt: "Die Muslimbruderschaft und den politischen Islam in Europa
stoppen".