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Die NRW-Landesregierung (CDU/FDP) setzt
sich bei der 89. Justizministerkonferenz der 16 Bundesländer für ein
"Maßnahmenpaket" zur Förderung religiöser und weltanschaulicher
Neutralität in der Justiz und zum Verbot der Gesichtsverhüllung während
der Gerichtsverhandlung ein. Der hpd hat das Eckpunktepapier eingesehen
und darin gute Vorschläge des NRW-Justizministers Peter Biesenbach (CDU)
zur Ausgestaltung der staatlichen Neutralität im Öffentlichen Dienst
gefunden.
Die schwarzgelbe NRW-Landesregierung hatte am 27. Februar 2018
"Eckpunkte
zur Förderung religiöser und weltanschaulicher Neutralität in
der Justiz und zum Verbot der Gesichtsverhüllung im Gerichtssaal"
gebilligt. NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) meldete dieses Thema
nun zur Koordinierung mit seinen Länderkollegen auf der 89. Konferenz der
Justizministerinnen und Justizminister der Länder (JUMIKO) an, die am 6.
und 7. Juni 2018 in Eisenach stattfindet. Die JUMIKO dient der Koordinierung
und Abstimmung aktueller justiz- und rechtspolitischer Vorhaben in den Ländern.
Als Forum des ständigen Meinungs- und Erfahrungsaustauschs dient die Konferenz
der Gestaltung des zukünftigen justiz- und rechtspolitischen, insbesondere
auch gesetzgeberischen Handelns auf Länder-, Bundes- und Europaebene.
NRW-Eckpunktepapier
Das
NRW-Eckpunktepapier liegt dem hpd vor. Darin heißt es einleitend: "Der
Staat ist durch das Grundgesetz zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität
verpflichtet. Insofern hat er auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung
der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten. Er
darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren und
muss das Recht des Einzelnen respektieren, von Bekundungen einer religiösen
oder weltanschaulichen Überzeugung verschont zu werden. Schafft der Staat
eine Lage, der sich der Einzelne nicht entziehen kann, so hat er sie – zugunsten
der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit – von religiösen und weltanschaulichen
Bekundungen frei zu halten."
Durch ein gesetzgeberisches Maßnahmenpaket
auf Landes- und Bundesebene will NRW einen Beitrag leisten, um den Anspruch
der Bürgerinnen und Bürger auf staatliche Neutralität in der
Justiz zu erfüllen, und eine offene Kommunikation während der Gerichtsverhandlung
zu ermöglichen.
Deshalb soll durch ein "bereichsspezifisches
Landesneutralitätsgesetz" sichergestellt werden, dass alle Justizangehörigen
im Gerichtssaal und bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten mit
unmittelbarem Bürgerkontakt neutrale Kleidung tragen. Das für Berufsrichterinnen
und Berufsrichter geltende Mäßigungsgebot soll dahingehend konkretisiert
werden, dass religiöse oder weltanschauliche Kleidung im Gerichtssaal (ausdrücklich)
verboten wird. Auch die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen
und Staatsanwälten, Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare sowie die
in der Justiz tätigen Beamtinnen und Beamten und Tarifbeschäftigten
würden davon erfasst.
Durch eine Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes
– eines Bundesgesetzes – soll zudem sichergestellt werden, dass sämtliche
Personen im Gerichtssaal ihr Gesicht während der Gerichtsverhandlung weder
ganz noch teilweise verdecken. Adressiert werden sollen neben Verfahrensbeteiligten
(Parteien, Zeugen, Sachverständige, Rechtsanwälte) auch Zuhörerinnen
und Zuhörer. Bereits die Anwesenheit einer vollverschleierten Person auf
der Besucherbank könne dazu führen, dass Verfahrensbeteiligte sich
nicht so frei, ausführlich und sachgerecht erklären können, wie
es zur wahrheitsgemäßen und zweckentsprechenden Rechtsverfolgung
nötig ist und wie sie es selbst gern möchten.
Die säkularen
Gruppen auch aus den NRW-Oppositionsparteien hatten den Beschluss des NRW-Kabinetts
begrüßt. Die "Säkularen Grünen" fordern darüber
hinaus, dass ein solches Neutralitätsgesetz nicht auf den Bereich der Justiz
beschränkt sein solle, sondern alle staatlichen Institutionen umfasst,
d.h. auch für Justizvollzug, Bundeswehr, Polizei, Universitäten, Schulen
und Kindergärten gilt. Sie sagen: "Religiöse und weltanschauliche
Symbole haben in öffentlichen Gebäuden keinen Platz."
Soweit
geht die Initiative der NRW-Landesregierung nicht, da sie "nur" auf
die Gerichte beschränkt ist. NRW beabsichtigt, dass nach der 89. JUMIKO
das Verbot der Gesichtsverhüllung während der Gerichtsverhandlung
durch Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes von NRW zum Gegenstand einer
Bundesratsinitiative gemacht wird. "NRW startet damit eine der wichtigsten
Initiativen der letzten Jahre zur weltanschaulich-religiösen Neutralität
des Staates. Das ist ein wichtiger Schritt, denn eine länderübergreifend
harmonisierte Position ist für den Öffentlichen Dienst dringend erforderlich",
urteilt die Juristin Jacqueline Neumann vom Institut
für Weltanschauungsrecht (ifw), das sich für eine säkulare Rechtspolitik
einsetzt.
Berliner Neutralitätsgesetz
Die Regelungen des
Berliner Neutralitätsgesetzes aus dem Jahr 2005 werden von verschiedenen
säkularen Gruppen als Orientierungsrahmen für die Ausgestaltung der
staatlichen Neutralität im Öffentlichen Dienst empfohlen. Zahlreiche
Befürworter haben sich in der Initiative "Pro Neutralitätsgesetz"
zusammengeschlossen. Einige Mitglieder der rot-rot-grünen Berliner Landesregierung,
darunter der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen)
sehen jedoch das Neutralitätsgesetz im Konflikt mit dem Grundgesetz und
wollen es entkernen, andere wie die Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD)
setzen sich dafür ein, an der Neutralität der Schulen "mit aller
Konsequenz festzuhalten". In den Regierungsparteien herrscht ein gemischtes
Bild, was einstweilen den Ausgang der NRW-Initiative unklar bleiben lässt.
Allerdings wurde Ende Mai das Neutralitätsgesetz durch das Berliner Arbeitsgericht
gestärkt, als erneut Klagen von muslimischen Kopftuchträgerinnen abgewiesen
wurden.
Berlin wird auf der 89. JUMIKO durch den Justizsenator Behrendt
vertreten. Es wäre ein Treppenwitz im weltanschaulich-neutralen Staat,
wenn ausgerechnet das Bundesland Berlin, dessen Gesetz als positives Beispiel
für weltanschaulich-religiöse Neutralität Schule in anderen Ländern
machen soll, sich nun gegen eine entsprechende Mehrheit der Neutralitätsbefürworter
unter den Justizministern stellt. Die Beschlüsse der JUMIKO werden veröffentlicht,
das Abstimmverhalten der Mitglieder der JUMIKO nicht.