Beim bewährten wiki
findet man eine beeindruckende Sammlung von nichts (oder Nichts oder
Nichtsen?). Die Abbildung von wissenbloggt wird dem nicht gerecht (Bild von nix: wb).
Nochmal das Nichts aus der formalen Logik als Negation des Existenzquantors (\neg \exists x) von wiki, ehe es richtig losgeht mit dem Nichts.
Da wäre also dieser Artikel in The Conversation, in dem Martin Rees zum Nichts befragt wird. Rees ist Astronomer Royal
(britischer Ehrentitel für verdiente Astronomen) und emeritierter
Professor für Kosmologie und Astrophysik von der Universität Cambridge.
Wenn solche Leute von Nichts sprechen, meinen sie den leeren Raum, das
Vakuum. In Wirklichkeit ist der leere Raum nicht leer, das Vakuum ist
erfüllt von einer mysteriösen Energie ("a mysterious energy latent in
it"), die uns etwas über das Schicksal des Universums verrät.
Rees kleidet das in die Worte, für den Fisch möge das Wasser als Nichts
erscheinen. Wenn man alles wegnimmt. was drin rumschwimmt, bleibt eben
nichts. So ähnlich sei das mit dem leeren Raum.
Der sei wirklich ziemlich leer, da schwimmt nur ein Atom pro 10
Kubikmetern rum – ein Vakuum, das auf der Erde nicht herstellbar ist.
Und doch, wenn man die Materie ganz wegnimmt, bleibt trotzdem was über.
Der Raum hat eine Art von Elastizität, die gemäß jüngster Bestätigung
Gravitationswellen zulässt – Riffeln (kleine Wellen) im Raum selbst, die
sich durch ihn fortpflanzen ("ripples in space itself propagate through
it"). Außerdem haben die Physiker gelernt, dass es im leeren Raum eine
exotische Art von Energie gibt.
Man weiß seit dem 20. Jhd. von dieser Vakuumenergie.
Beschrieben wird sie von der Quantenmechanik, welche die Welt der Atome
und Partikel regiert. Der leere Raum wird demnach von einem Feld
fluktuierender Nullpunktsenergie erfüllt, die Wellen und virtuelle
Partikel erzeugt und verschlingt ("pop into and out of existence"). Sie
können sogar winzige Kräfte erzeugen.
Aber was gilt für den leeren Raum im kosmischen Maßstab? Erst vor ca.
20 Jahren wurde entdeckt, dass dort eine großmaßstäbliche Kraft ausgeübt
wird ("exert"), welche die Expansion des Universums
bewirkt. Über die Expansion ist man seit über 50 Jahren im Bild, nur
dachte man, die Expansion würde sich wegen der Gravitationskräfte
verlangsamen. Um so größer war die Überraschung, dass die Bremseffekte
von etwas überwunden wurden, das die Expansion befördert. Es gibt
latente Energie im leeren Raum selbst, welche die Anziehungskräfte der
Gravitation auf den großen Skalen überwindet. Dies Phänomen nennt man Dunkle Energie,
und es stellt die dramatischste Manifestation der Tatsache dar, dass
der leere Raum nicht eigenschaftslos und irrelevant ist. Tatsächlich
bestimmt es sogar über das endgültige Schicksal des Universums.
Damit geht's ins quantenphysikalische Detail. Im Maßstab von 10-24-facher Atomgröße (10−10 m)
können Quantenfluktuationen der Raumzeit nicht nur virtuelle Partikel
erzeugen, sondern sogar virtuelle Schwarze Löcher. Dieser Bereich um 10−34
m ist nicht beobachtbar. Dort behilft man sich mit der Kombination von
Gravitationstheorien und Quantenmechanik, um die Ereignisse theoretisch
durchzuspielen – eine notorisch schwierige Aufgabe.
Zu den Theorien, die das bewältigen möchten, gehören die
Stringtheorien. Bloß dass die noch nie mit der Realwelt ins Gehege
gekommen sind – sie sind immer noch reine Spekulation. Aber Rees glaubt,
dass heute fast alle Physiker bei den Mikro-Maßstäben geneigt sind,
komplizierte Strukturen aus dem Zusammenwirken von Gravitations- und
Quanten-Effekten zu akzeptieren.
Immerhin wissen wir, dass unser Universum sich in drei Dimensionen
ausbreitet: rechts/links, vorwärts/rückwärts und hoch/runter. Die Zeit
gilt als vierte Dimension. Aber wenn man in die ganz winzigen Maßstäbe
eintaucht, sind dann die Raumpunkte wie ein Origami in weiteren fünf
Dimensionen zusammengefaltet? So fest, dass sie unsichtbar sind? Das ist
bloß eine starke Vermutung. Als Makro-Beispiel kann ein Schlauch
dienen, der von weitem wie ein Strich aussieht.
Wie auch immer, die Strintheorien beinhalten komplizierte Mathematik,
und die rivalisierenden Theorien dito (Beispiel ohne Mathematik: wb-Link MOND-Theorie).
Aber die Komplexität ist nötig, um den niedrigsten vorstellbaren Level
nahe dem Nichts zu verstehen, nämlich dem leeren Raum ("the deepest
level the nearest to nothingness").
Doch kann unser gegenwärtiges Verständnis des Universums seine
Ausdehnung aus dem Nichts heraus erklären? Kann es wirklich von einem
Stückchen fluktuierender Vakuumenergie ausgegangen sein?
Möglicherweise hat irgendeine mysteriöse Transition oder Fluktuation es
angestoßen, dass ein Teil des Raums expandierte. Das ist zumindest die
Denke einiger Theoretiker. Die systemimmanenten Fluktuationen der
Quantentheorie könnten das ganze Universum durchschütteln, wenn sie auf
eine genügend kleine Skala komprimiert würden. Es würde passieren, wenn
das Zeitelement auf 10−44 sec verkleinert würde, der Bereich, der Planck-Zeit
heißt. In diesem Bereich sind Raum und Zeit so verflochten, dass die
Vorstellung einer tickenden Uhr keinen Sinn mehr ergibt. Die
zugänglichen Bereiche liegen bei Nanosekunden und mit mehr Ungewissheit
bis weiter runter zur Planck-Zeit. Aber danach ist eine größere,
kompliziertere Theorie nötig.
Und wenn so eine Fluktuation irgendwo im leeren Raum das Universum
erzeugte, könnte nicht dasselbe in anderen leeren Bereichen geschehen
und damit ein Paralleluniversum in einem Multiversum schaffen?
Bei vielen Physikern sind solche Vorstellungen von mehr als einem Big Bang
populär. Es gibt auch viele Vertreter von zyklischen Universen. Erst
vor 50 Jahren traten starke Beweise für den Big Bang hervor. Dass er
bloß eine Schleife in einem zyklischen Universum sein könnte, wurde
sogleich spekuliert. Auch finden sich Vertreter der Ansicht, dass unser
Bereich von Raum und Zeit bloß ein Teil der physikalischen Realität ist.
Realistisch gesehen ist das Spekulation. Wir wissen nicht, ob es einen
oder viele Big Bangs gab.
Und wie wird das Universum enden?
Derzeit gilt die Langzeitprognose, dass unser Universum sich immer
schneller immer weiter ausdehnt, wobei es immer leerer und kälter wird.
Die Partikel mögen zerfallen, die Ausdünnung mag immer weiter gehen. Am
Ende wäre das gesamte Universum überall leerer als der interstellare
Raum jetzt ist. Das ist eins der Szenarien, aber es gibt auch andere.
Dabei könnte z.B. die Dunkle Energie ihre Wirkweise umkehren und von
Abstoßung zu Anziehung umschalten. Das nennt sich dann Kollaps oder Big
Crunch.
Dem Physiker Roger Penrose verdanken wir eine weitere Theorie, wo die
Expansion bis zur Verdünnung aller Materie zu (masselosen) Photonen
geht, und dann gibt's eine "Reskalierung", die den Raum zum Generator
eines neuen Big Bangs macht – Rees findet das exotisch und nimmt Abstand
von weiteren Erklärungen.
Er beantwortet lieber die Frage nach der Gewissheit: Wird die
Wissenschaft am Ende die ultimative Antwort auf die Frage nach dem
Nichts abliefern? Auch wenn bewiesen werden kann, dass das Universum von
einer mysteriösen Fluktuation des Vakuumfelds ausging, müssten wir dann
nicht fragen, wo das Vakuumfeld herkam?
Da beißt sich die Katze in den Schwanz: Immer wenn die Wissenschaft
Fragen beantwortet, kommen neue Fragen hoch. Wir werden nie ein
komplettes Bild gewinnen, so Rees. Als er in den 1960-ern zu forschen
begann, wurde um die Frage gerungen, gab es einen Big Bang oder nicht?
Es gab einen, das ist jetzt Konsens, und mit 2% Präzision kann der
Ablauf des Universums für die letzten 13,8 Milliarden Jahre angegeben
werden, bis 1 Nanosekunde nach dem Big Bang.
Das ist ein gewaltiger Fortschritt. Deshalb scheint es nicht übermäßig
optimistisch zu sein, wenn man für die nächsten 50 Jahre ein Verständnis
der Raumexpansion erwartet. Aber wieviel von der Wissenschaft wird für
das menschliche HIrn begreifbar sein? Es könnte ja z.B. rauskommen, dass
die Mathematik der Stringtheorie in gewisser Weise eine korrekte
Beschreibung der Realität darstellt, dass wir sie aber nie gut genug
verstehen werden, um sie richtig zu überprüfen. Dann müssen wir auf
irgendeine Art von Posthumanität warten, um ein besseres Verständnis zu
erlangen.
Und zum Abschluss: Wer über diese Mysterien nachdenkt, sollte sich
dessen bewusst sein, dass der leere Raum der Physiker – das Vakuum –
nicht dasselbe ist wie das Nichts der Philosophen.
Nach der formalen Logik muss man da sogar noch weiter unterscheiden (wiki). "Nichts existiert" (\neg \exists x, also "es ist nicht der Fall, dass etwas existiert") und "Das Nichts existiert" (xPx mit der Eigenschaft P "nix") sind demnach nicht synonym.
What is nothing? Martin Rees Q&A (The Conversation 15.8.): Philosophers have debated the nature of “nothing” for thousands of years, but what has modern science got to say about it? In an interview with The Conversation, Martin Rees, Astronomer Royal and Emeritus Professor of Cosmology and Astrophysics at the University of Cambridge, explains that when physicists talk about nothing, they mean empty space (vacuum).