Beim Aufbau des Euro-Systems wurde schrecklich dilettantisch vorgegangen, man braucht dazu nur das alte italienische Währungssystem betrachten, Italien regulierte seine Wirtschaftsprobleme jahrzehntelang durch die Abwertung der italienischen Lire! Den Euro kann man in einem Einzelstaat nicht abwerten, somit ist Italien durch die Euro-Währung in Bedrängnis geraten. Und etliche andere Staaten auch...
Der Finanzexperte Lucas Zeise stellt einen Systemfehler im Eurosystem
fest: Starke Staaten würden bevorteilt werden, und schwache benachteiligt.
Langfristig müssten daher die Schwachen ausscheiden, wenn sie nicht subventioniert
werden.
Lucas Zeise arbeitete als Finanzjournalist, unter anderem
bei der Börsen-Zeitung und der Financial Times Deutschland. Nach seiner
Verrentung machte er seine Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen
Partei bekannt. Seither erscheinen seine Veröffentlichungen in linken
Zeitungen. Sein Hauptinteresse gilt der Funktion des Geldes. Das Gespräch
führte Hasan Posdnjakow.
RT: Welchen Einfluss wird
die Ablehnung von Italiens Haushalt durch Brüssel auf die finanzielle Stabilität
Italiens und der Eurozone haben?
Lucas
Zeise: Zunächst mal gar keinen. Weder
Italien noch die Eurozone geraten durch diesen Streit über den Staatshaushalt
Italiens in größere Schwierigkeiten als zuvor. Wenn der italienische
Staatshaushalt vom Parlament in Rom verabschiedet ist, kann er vollzogen werden.
Einziger Einwand: Es könnte für Italien schwieriger werden, die nötigen
Schulden aufzunehmen, weil die EU-Institutionen diesen Streit hochkochen. Tatsächlich
sind die Renditen italienischer Staatsanleihen im Frühsommer kräftig
gestiegen.
RT: Warum verhängt die EU bzw. die Eurozone
einerseits Strafmaßnahmen wegen Nichteinhaltung des Maastricht-Vertrages
gegen unliebsame Regierungen, lässt aber andererseits Sanktionen gegen
andere Länder fallen, in der Vergangenheit auch u.a. Deutschland und Frankreich?
Lucas
Zeise: Weil auch in diesem Bündnis angeblich gleichberechtigter Staaten
einige gleicher sind, als andere. Es wird normalerweise auch von den kleineren
Ländern als selbstverständlich akzeptiert, dass Frankreich und Deutschland
den Ton angeben. Schlimm an der Sache ist die Verschärfung der Maastricht-Kriterien
in der Eurozone, die von Deutschland vorangetrieben wurde, die erstens eine
Ausdehnung der "Schuldenbremse" auf die EU-Länder und zweitens
ein Mitspracherecht der EU über die Erstellung der nationalen Budgets installierte.
RT:
Welche mittel- und langfristigen Konsequenzen für die Eurozone würden
sich ergeben, sollte der Streit zwischen Brüssel und Rom weiter eskalieren?
Lucas
Zeise: Vermutlich wird dieser Streit speziell nicht weiter eskalieren. Das
Verfahren der Kommission gegen Italien zieht sich über Jahre hin. Bis dahin
haben die Euroländer ganz andere Probleme.
RT: Welche
finanziellen und politischen Mittel stehen Brüssel bzw. den tonangebenden
Kräften in der EZB zur Verfügung, um Druck auszuüben bei Streitigkeiten
mit Staaten wie Griechenland und Rom?
Lucas Zeise: Das schärfste
Mittel ist die Provokation einer Finanzkrise. Aber auch dazu bedarf es eines
Anlasses. Die Probleme italienischer Banken könnten ein Anlass sein. Das
letzte Mal wurde eine staatliche Stützung der schwachen "Monte dei
Paschi" von Brüssel, der EZB und den Finanzministern akzeptiert. Aber
das war noch vor dem Regierungswechsel in Rom. Es ist schwer für Brüssel,
Frankfurt und Berlin, solche Krisen gegen Italien zu nutzen, ohne selber erheblichen
Schaden zu nehmen. Die deutschen Banken zum Beispiel sind selber ziemlich schwächlich.
Italien ist zu groß, als dass man es sich leisten könnte wie im Fall
Griechenland mit dem Rausschmiss aus der Eurozone oder auch nur "Strafen"
zu drohen.
Die italienische, nicht genehme Regierung, wird aber wohl durch
eine Kombination von etwas Druck der Finanzmärkte, Auflagen der EZB und
der EU-Kommission sowie vor allem italienischer Institutionen selber wie von
der Banca d'Italia, zu Fall gebracht werden können.
RT: Sind
die immer wieder auftretenden Finanzkrisen in der Eurozone nur Betriebsfehler,
oder liegt ein Systemfehler vor?
Lucas Zeise: Es liegt ein Systemfehler
vor. In einem völlig freien Binnenmarkt mit einheitlicher Währung
gelten kein einheitliches staatliches Recht, keine einheitlichen Steuern, sondern
ein so genannter "Wettbewerb" der Staaten um die Gunst des Kapitals.
Das führt zwangsläufig zu einer Stärkung der ohnehin Starken,
und einer Schwächung der Schwachen. Also müssen die armen Länder
(plus deren Unternehmen und Banken) immer wieder subventioniert werden, oder
ausscheiden.
RT: Rechtskonservative Kreise in der Bundesrepublik
erklären immer wieder, der Euro wäre für die deutsche Wirtschaft
schlecht gewesen. Wie bewerten Sie die Einführung des Euros?
Lucas
Zeise: Meines Wissens unterstützen die meisten "rechtskonservativen
Kreise", also die CDU/CSU und die AfD, die EU und den Euro. Ein Teil davon
weist mit einem gewissen Recht darauf hin, dass die Sache für den deutschen
Steuerzahler teuer werden kann und zum Teil schon geworden ist.
RT:
Einige linke Ökonomen argumentieren, die Einführung des Euros sei
zwar ein Fehler gewesen, doch eine Rückkehr zu einer Nationalwährung
sei zumindest in Krisenzeiten nicht realistisch. Daher müsse man alles
tun, um in der Eurozone zu bleiben. Wie sehen Sie das?
Lucas Zeise:
Es wird den schwächeren Ländern wahrscheinlich nichts anderes übrig
bleiben, als den Euro zu verlassen. Zu glauben, das könne krisenfrei
geschehen, glaubt im Ernst niemand. Es kann also nur darum gehen, die Sache
möglichst harmlos abzuwickeln. Nach wie vor halte ich es für am besten,
einen gemeinsamen Schuldenschnitt über die Staatshaushalte der Euroländer
durchzuführen und gleichzeitig allen Ländern die Möglichkeit
zu geben, eigene nationale Währungen wieder einzuführen. Ganz so utopisch,
wie es klingt, ist der Vorschlag nicht. Inmitten von Finanzkrisen geschehen
erstaunliche Dinge.
RT: Vielen Dank für das Gespräch!