USA: Kein Raum für Arbeiterpartei

Warum es in den USA nie eine politisch wirksame Partei der arbeitenden Bevölkerung gegeben hat, erklärte am 11.7.2020 die marxistische  "Junge Welt"  mit Texten von Friedrich Engels aus dem Jahre 1892 und 1893.

Auszüge aus: Friedrich Engels an Friedrich Adolph Sorge, Brief vom 6. Januar 1892. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke (MEW), Band 38. Dietz Verlag, Berlin 1974, Seiten 245-246 - Friedrich Engels an Friedrich Adolph Sorge, Brief vom 2. Dezember 1893. In: MEW, Band 39. Dietz Verlag, Berlin 1973, Seite 173:

Friedrich Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken, London, 6. Januar 1892

In Amerika ist, glaube ich, noch kein Raum für eine dritte Partei. Die Interessenverschiedenheit selbst derselben Klassenfraktion ist auf dem ungeheuren Gebiet so groß, dass in jeder der beiden großen Parteien, je nach der Lokalität, ganz verschiedene Fraktion und Interessen vertreten sind und zu sehr großem Teil fast jede besondre Schicht der besitzenden Klasse Vertreter in jeder der beiden Parteien hat, obwohl die Großindustrie im ganzen heute den Kern der Republikaner wie der südliche Großgrundbesitz den der Demokraten bildet. Diese scheinbare Zufälligkeit der Zusammenwürfelung gibt eben den famosen Boden ab für die Korruption und Staatsausbeutung, die dort so herrlich blüht. Erst wenn der Boden - die öffentlichen Ländereien - ganz in den Händen der Spekulanten, wenn also die Ansiedlung mehr und mehr erschwert respektive der Prellerei verfallen ist, erst dann scheint mir bei ruhiger Entwicklung die Zeit für eine dritte Partei gekommen. Der Boden ist die Basis der Spekulation, und die amerikanische Spekulationswut und -möglichkeit ist der Haupthebel, der die eingebornen Arbeiter im Bann der Bourgeoisie hält. Erst wenn ein Geschlecht eingeborner Arbeiter da ist, das von der Spekulation nichts mehr erwarten darf, erst dann haben wir festen Boden in Amerika. Aber freilich, wer darf in Amerika auf ruhige Entwicklung rechnen! Da gibt’s ökonomische Sprünge wie politische in Frankreich - sie haben freilich auch dieselben momentanen Rückschläge.

Die kleinen Farmer und Kleinbürger werden es kaum je zu einer starken Partei bringen, sie bestehen aus zu rasch wechselnden Elementen - der Bauer dabei oft noch Wanderbauer, zwei, drei, vier Farmen in verschiednen Staaten und Territorien (Gebiete, die noch nicht die von der US-Verfassung vorgeschriebene Bevölkerungszahl hatten, um einen Bundesstaat zu bilden. Marx sprach von »inneren Kolonien«, jW) nacheinander bebauend - Einwanderung und Bankrott befördern den Personenwechsel bei beiden - die ökonomische Abhängigkeit vom Gläubiger hindert auch die Selbständigkeit -, aber dafür sind sie ein famoses Element für Politiker, die auf ihre Unzufriedenheit spekulieren, um sie nachher an eine der großen Parteien zu verkaufen.

Die »Zähigkeit« der Yankees, die sogar den Greenback-Humbug (1874 bildete sich in den US-Weststaaten die Greenback-Party, die sich gegen die Einziehung der sogenannten Greenbacks, Staatspapiergeldes mit grüner Rückseite, das während des Bürgerkrieges 1861 bis 1865 in großen Mengen ausgegeben worden war. Die Einziehung war mit einer Entwertung verbunden. Die Farmer nahmen aber fälschlich an, dass sich durch den Umlauf einer großen Menge Papiergeldes der Preis für landwirtschaftliche Produkte erhöhen würde. Die Partei zerfiel 1892, jW) wieder aufwärmen, ist Folge ihrer theoretischen Zurückgebliebenheit und angelsächsischen Verachtung aller Theorie. Dafür werden sie gestraft durch den Aberglauben an jeden philosophischen und ökonomischen Unsinn, religiöse Sektiererei und ökonomisch blödsinnige Experimente, wovon aber gewisse Bourgeoiscliquen Vorteil ziehen.

Friedrich Engels an Friedrich Adolph Sorge in Hoboken, London, 2. Dezember 1893

(...) Ist doch nicht zu leugnen, dass die amerikanischen Verhältnisse sehr große und eigentümliche Schwierigkeiten für eine stetige Entwicklung einer Arbeiterpartei einschließen.

Erstens die auf Parteiherrschaft, wie in England, gegründete Verfassung, die jedes auf einen nicht von einer der beiden Regierungsparteien aufgestellten Kandidaten fallende Votum als verloren erscheinen lässt. Und der Amerikaner wie der Engländer will auf seinen Staat einwirken, wirft seine Stimme nicht weg.

Dann und besonders die Einwanderung, die die Arbeiter in zwei Gruppen scheidet, die eingebornen und die fremden; und diese letztere wieder in 1. Irländer, 2. Deutsche, 3. die vielen kleinen Gruppen, die sich jede nur untereinander verstehen, Tschechen, Polen, Italiener, Skandinavier etc. Dazu noch die Neger. Um daraus eine einige Partei zu bilden, dazu gehören ganz besonders mächtige Antriebe. Manchmal plötzlich ein gewaltsamer Elan, aber die Bourgeois brauchen nur passiv auszuhalten, und die ungleichartigen Elemente der Arbeiterschaft fallen wieder auseinander.

Endlich muss auch das Schutzzollsystem und der stetig anwachsende innere Markt die Arbeiter einer Prosperität ausgesetzt haben, von der wir hier in Europa (außer Russland, wo aber nicht der Arbeiter, sondern nur der Bourgeois davon profitiert) seit Jahren keine Spur mehr sehen.

Ein Land wie Amerika, wenn es wirklich für eine sozialistische Arbeiterpartei reif ist, kann sicher nicht durch die paar deutschen sozialistischen Doktrinäre daran gehindert werden.


Soweit Genosse Engels. Es ist jedoch politisch alles so geblieben, wie es damals war, die Einwanderungsstrukturen konnten nicht überwunden werden, eine wirkungsvolle Partei der Klassensolidarität entwickelte sich bis heute nicht....

In unseren Breiten kam nach dem Konkurs der Sowjetunion der Endsieg des Kapitalismus, die Sozialdemokratie ging in den neoliberalen Ausgleich. Zwar blieben sozialstaatliche Errungenschaften bisher in den Ländern, in denen solche geschaffen worden waren, noch erhalten, aber die Einkünfte der arbeitenden Klassen stagnieren, der Arbeitsdruck nimmt zu....