Neue Idiotien der deutschen Energiepolitik

Aussendung von Wilfried Müller vom 11.9.2022

Die Welt weiß inzwischen, wie Deutschland seine Energieversorgung zerstört hat. Was nicht jeder weiß ist, dass es damit immer noch weitergeht - und das, obwohl die aktuelle Politik als pragmatisch gelobt wird. Die Hinterlassenschaften der Merkel-Ära werden weiter ausgebaut. Die Ausgangssituation:
A) Die Versorgung mit Gas und Öl wurde trotz Warnungen auf Russland konzentriert, auf den Energiemärkten wurde von langfristigen Verträgen auf Spekulation umgestellt, und das rächt sich jetzt.
B) Funktionierende Kraftwerke wurden weggeschmissen, ohne Vorkehrungen zu treffen, den Strom anderweitig zu produzieren. Auch das rächt sich jetzt durch Teuerung und Versorgungsunsicherheit.
C) Es wurde und wird nicht wahrgenommen, dass beliebig viel Solar- und Windkraft den Kohle- und Atomstrom nicht vollständig ersetzen können; es bleiben Löcher in der Versorgung.
Und es geht weiter damit

Die Ampel-Regierung setzt die dogmatische Politik fort, darüber können pragmatische Ansätze nicht hinwegtäuschen. Es reicht nicht, LNG-Terminals doch noch zu bauen und Kohlekraftwerke zu reanimieren:

A) Die deutschen Gasvorkommen sind laut Umweltbundesamt ausreichend: Demnach liegt das Potenzial an technisch gewinnbarem Schiefergas in dichten Tongesteinen bei rund 1300 Mrd. m³  (BGR, 2012). Der derzeitige Erdgasverbrauch in Deutschland wird mit rund 90 Mrd. m³ ausgewiesen. Damit könnte Deutschland theoretisch seinen derzeitigen Gasbedarf über ein Jahrzehnt vollständig decken oder realistischer den seit einigen Jahren sinkenden Eigenanteil an heimischem Erdgas stabilisieren und für ca. 100 Jahre aufrechterhalten. (https://www.umweltbundesamt.de/service/uba-fragen/wie-gross-sind-die-erdgas-vorkommen-in-deutschland). Das deutsche Gas wird aber aus ideologischen Gründen nicht ausreichend gefördert, Fracking ist verboten. Niederländisches Gas wird genau so gefördert, aber das darf importiert werden (soweit vorhanden). In einer aufkommenden Notsituation wie jetzt ist diese Politik unverantwortlich.

B) Laut Plan vom Wirtschaftsminister sollen zwei Atomkraftwerke am Jahresende in den "Reservebetrieb" gehen, statt ganz abgeschaltet zu werden. Abgesehen vom technischen Hickhack um diesen Plan ist er idiotisch: Die AKW produzieren dann Wärme, die nicht in Strom umgewandelt wird, sondern einfach zum Schornstein rausgeheizt wird. In einer Notsituation wie der anstehenden ist diese Politik wiederum unverantwortlich.

C) Wenn das Bild in den Medien repräsentativ für den Wissensstand ist, fehlt flächendeckend das Verständnis für die Stromlücken von Wind- und Solarstrom. Beispielhaft ein Artikel in der Zeit (Warum ist Strom plötzlich so teuer? 29.8., https://www.zeit.de/wirtschaft/2022-08/strompreis-energiekrise-gas-mechanismus). Wie unredlich der Artikel ist, zeigt die Stromerzeugungskurve vom 4.9. bis 10.9. Die Kurve in der Zeit  stammt von der Bundesnetzagentur und wurde aktualisiert am 10.9.. Zum Vergleich die direkten Werte der Bundesnetzagentur.

Die verlinkte Kurve zeigt das, was in der Zeit fehlt, nämlich dass am 7., 8., 9. und 10. September zuwenig Strom produziert wurde, so dass aus dem Ausland importiert werden musste. Ähnlich irreführend ein weiterer Zeit-Artikel (Worum es im Streit um die Atomkraftwerke wirklich geht, 8.9,. https://www.zeit.de/politik/deutschland/2022-09/atomkraft-robert-habeck-energie-bundestag). Die Artikel lesen sich so, als ob es keine grundsätzlichen Probleme gäbe, Deutschland exportiert sogar Strom nach Frankreich, alles in Ordnung!

Desinformation
Nichts ist in Ordnung. Das ist Desinformation, es ist unredlich, weil das Hauptproblem ignoriert wird. Das wurde an dieser Stelle schon thematisiert (BRD: Die kommende Strom-Mangelwirtschaft (https://atheisten-info.at/downloads/Strommangelwirtschaft.pdf). Etwa jeden zweiten Tag reicht der Strom nicht aus, und es muss aus dem Ausland importiert werden (was der Link zur Bundesnetzagentur beispielhaft zeigt). Der Knackpunkt ist, dass Strom von Wind und Sonne nicht dann kommt, wenn er gebraucht wird. Das macht ihn zur Ramschware.

Den Beweis sieht man in Kurven von Agora-Energiewende, wo Import und Export dargestellt sind, zusammen mit der Kurve der Preise (https://www.agora-energiewende.de/service/agorameter/chart/power_import_export/26.08.2022/04.09.2022/today/). Die interaktive Grafik zeigt auffällige Schwankungen vom Strompreis um den Faktor 10: Wenn mehr exportiert wird als importiert (also wenn die Sonne scheint und der Wind weht), kracht der Strompreis ab. Am 28.8. geht er runter bis 6,5 ct/kWh (6,5 Cent pro Kilowattstunde = 65 Euro pro Megawattstunde). Das heißt, dann ist ein Überangebot da, und der Strom muss verramscht werden, er muss superbillig angeboten werden, sonst nimmt ihn keiner. Am 14.02.21 lag der Preis sogar unter 0, da musste man draufzahlen, damit der Strom abgenommen wurde.

Das Gegenteil passiert, wenn mehr importiert wird als exportiert (also in den Lücken von Solar und Wind). Dann klettert der Börsen-Strompreis auf ein Mehrfaches. Am 30.8. ging es bis 86 ct/kWh, mehr als Faktor 10 gegenüber dem 28.8.

Strom ist nicht gleich Strom
Damit sind 2 Probleme aufgezeigt:
Wenn die Sonne scheint und der Wind weht, produziert Deutschland eine Menge überschüssigen Strom, aber der ist kaum was wert.
Zugleich gibt es durchschnittlich jeden zweiten Tag Lücken in der Stromversorgung, da reicht die deutsche Stromversorgung nicht aus; die Lücken, werden vom Ausland gefüllt, und dieser Strom ist extrem teuer - Strom ist nicht gleich Strom.

Die (auch in der Zeit und den Zeit-Foren) vielbenutzte Aussage ist, wir exportieren mehr Strom nach Frankreich, als wir aus Frankreich kaufen. Das zu sagen ist unredllich und irreführend. Der exportierte Strom wird dort nicht gebraucht, er macht bloß die Preise kaputt. Der importierte Strom wird dagegen dringend gebraucht, sonst gibt es Blackouts.
Im Grunde muss Deutschland froh sein, dass es überhaupt noch Strom zu kaufen gibt, der die Lücken füllt. Es werden ja keine ernsthaften Anstrengungen unternommen, um Stromspeicher zu entwickeln (viel zu teuer) oder um den Strom in Gas zu wandeln. Die letztere Aussage zielt weniger auf die Wasserstoffwirtschaft. Da wird was getan, aber das ist extrem problematisch und ineffizient. Besser wäre die Hydrolysierung plus Methanisierung, also die Produktion von Methan, die aber nicht angegangen wird. In einer drohenden Notsituation, wo das Gas dringend gebraucht wird, ist diese Politik wiederum unverantwortlich.

So bleibt Deutschland darauf angewiesen, weiterhin Strom einzukaufen - aber was ist, wenn die Lieferanten selber ihre Wind- und Solaranlagen ausbauen? Dann brauchen sie den Lückenfüller-Strom selber. Dieser wichtige Punkt fehlt in den Medien-Berichten fast komplett. Ebenso das Weitere:
Schon jetzt könnten die Lieferanten auf die Idee kommen, den Lückenfüller-Strom zu verteuern. Deutschland betreibt ja praktisch Rosinenpicken, indem es nur zu speziellen Zeiten Strom abnimmt, wo doch die Bereitstellungskosten der Kraftwerke das ganze Jahr über anfallen. Wenn Deutschland damit belastet wird, hat es nicht mal Grund zur Beschwerde.Schließlich hätte es ebenso hohe Kosten, wenn es die Kapazitäten selber vorhalten würde.
Außerdem hat der knappe Strom ein erstklassiges Erpressungspotential, und solche Potentiale bleiben selten ungenutzt.