Reise ins Reich der Quanten

Teil 2: Schrödingers Katze

Unser Korrespondent meint, dem Laien die Quantentheorie schmackhaft machen zu können. Heute mit Hilfe einer halbtoten Katze.
 
Zur Erinnerung: Die Quantenphysik wird von einer Formel beherrscht, der Schrödinger-Gleichung. In ihr kommt eine geheimnisvolle Funktion namens psi vor, von der bis heute niemand weiß, was sie darstellen soll: eine echte Welle (was? wo? wie?), ein rein mathematisches Mittel zur Beschreibung (wie die Epizyklen des Ptolemäus), oder was sonst?
Auf jeden Fall ist die Gleichung deterministisch, d.h. die bestimmt die Zukunft eindeutig. Wieso aber meint die ganze Welt, im Bereich der Quanten wäre alles vom Zufall bestimmt? Weil ein gewissen Max Born das "psi" so deutete: Es ist eine Wahrscheinlichkeitswelle, und ihr Quadrat ergibt die Wahrscheinlichkeit eines Vorgangs. Born und Co. (Bohr, Heisenberg, etc.) brachten noch weitere Seltsamkeiten in die neue Theorie der wirklich kleinen Dinge. Heisenberg erfand seine Unsicherheit (siehe den ersten Teil dieser Trilogie), und Bohr meinte, dass ein Zustand so lange unbestimmt bleibt, bis das System beobachtet oder gemessen wird. Womit wir allmählich zu Schrödingers unglücklicher Katze kommen.
Nach dem Willen der Mathematiker wird die Welt des wirklich Kleinen beschrieben durch einen Vektor in einem abstrakten Raum ("Hilbertraum"), der alle möglichen Zustände des Systems enthält. Jeder dieser Zustände hat eine bestimmte Wahrscheinlichkeit. Durch eine Messung oder Beobachtung - so die Deutung der "orthodoxen" Quantenphysik (Born, Bohr, Heisenberg) - wird aus diesen möglichen Zuständen ein einziger herausgeschält, er erhält die Wahrscheinlichkeit "1", alle anderen werden zu null. Dieser Vorgang heißt auch "Kollaps" (Zusammenbruch) der Wellenfunktion. Die Wellenfunktion ("psi") der Schrödingergleichung, ursprünglich ein Wellenpaket (eine Überlagerung vieler Wellen), wird durch die Beobachtung ganz plötzlich "gestaucht", bis nur noch eine einzige Welle - eine einzige Möglichkeit, also der wirkliche Zustand - übrig bleibt.
Jetzt kommt Schrödinger und steckt - seine Grausamkeit ist wenig verständlich - eine Katze in eine Schachtel mit einer Zyankali-Ampulle, nach Schrödinger in eine Höllenmaschine. Ein Hammer zerschlägt das Glas irgendwann, denn er wird von einem Atom aus einer radioaktiven Quelle betätigt. Nach der Kopenhagener Deutung ("Orthodoxe Quantenphysik") besteht die Katze aus der Überlagerung zweier Zustände: tot und lebendig zugleich. Diese Überlagerung wird erst durch eine Beobachtung aufgehoben (was in unserem Witz durch den Polizisten geschah), dann ist die Katze endgültig tot oder auch nicht. Wobei sich bei aller Absurdität der Situation auch noch die Frage erhebt: Was ist in diesem Fall eine "Beobachtung"? Direkt hineinschauen, nur ein Foto knipsen, beobachtet sich die Katze selbst oder sieht Gott alles?

Noch absurder wird die Vorstellung, wenn man die Katze durch eine Bombe ersetzt (was der ursprünglichen Idee Einsteins entspricht, mit der er Schrödinger zu seinem Katzenparadoxon anregte) und die Giftgasampulle durch den Bombenauslöser. Angenommen, ein Atom ist auf den Auslöser gehüpft und hat die Bombe gezündet. Die aber explodiert erst, wenn der Deckel gelüftet und nachgeschaut wird - was auch niemals geschehen kann. Eine Bombe, die gleichzeitig explodiert und nicht explodiert ???
Das alles sind doch müßige Spekulationen, sollte man meinen. Schließlich handelt es sich bei der Katze um ein eindeutig makroskopisches Objekt, während die Quantenphysik für den Mikrokosmos zuständig ist. Mag sein, doch die Grenzen zwischen dem winzig Kleinen und dem alltäglich Fassbaren verschwinden. So gibt es inzwischen "Bose-Einstein-Kondensate", ultrakalte Gase mit mehreren tausend Atomen, die sich wie ein einziges Quantenteilchen verhalten. Inzwischen hat man die Anzahl der Atome auf zehn Millionen gesteigert. Vom Standpunkt eines menschlichen Betrachters aus ist das noch immer recht wenig, aber in supraleitenden Schaltkreisen können solche Überlagerungen wie bei Schrödingers Katze bei tiefen Temperaturen in Objekten hergestellt werden, die man mit bloßem Auge sehen kann. Diese Zustände heißen sogar offiziell "Katzenzustände", zu Ehren der malträtierten Katze aus Schrödingers Höllenmaschine.
Mehr noch: Mit einem solchen Katzenzustand konnten Nadav Katz (der Name ist reiner Zufall!) und Mitarbeiter von der kalifornischen Universität in Santa Barbara im Jahre 2008, metaphorisch gesprochen, einen kurzen Blick in die Höllenmaschine werfen, ohne die Katze zu "kollabieren", um dann, nach Verschließen des Deckels, die kurze Störung wieder rückgängig zu machen, sodass die "Katze" weiterhin im Schwebezustand zwischen Leben und Tod verharrte. Oder, etwas wissenschaftlicher ausgedrückt: Ein Supraleiter, bei dem bei tiefen Temperaturen der elektrische Widerstand verschwindet, kann zwei Energien besitzen, eine niedrige und eine hohe. Mit unserer Katzen-Analogie können wir die niedrige Energie mit dem Tod der Katze gleichsetzen, während sie bei hoher Energie noch lebt.
Der Supraleiter wurde so präpariert, dass erst mal beide Energieformen vorhanden sind (Katzen-Analogie: lebendig und tot zugleich). Durch Einschalten einer Barriere für die niedrige Energie konnten sie 'messen' (eigentlich nur vermuten), dass das System im Zustand niedriger Energie ist, sonst wäre nämlich durch den quantenphysikalischen Tunneleffekt ein wenig von der höheren Energie über die Barriere geschwappt. Die Katze war also, nach einem kurzen Blick in die Schachtel, mit größter Wahrscheinlichkeit schon tot.
Jetzt wurden die Energien vertauscht, und eine erneute (schwache) Messung machte die erste Messung zunichte. Die Forscher fanden sozusagen einen "Messungsradierer", sie machten die vermutlich tote Katze wieder lebendig. Kommentar des Quantenphysikers Vlatko Vedral von der britischen Universität in Leeds: "Wir können nicht annehmen, dass eine Messung erst die Wirklichkeit erschafft, da es möglich ist, die Effekte einer Messung rückgängig zu machen." Mit anderen Worten: Wir können die durch eine Messung angeblich erschaffene Realität durch eine Anti-Messung wieder zum Verschwinden bringen. Das ist wahre Magie!
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