Über eine Laterne, die nicht mehr leuchtet…

Peter Ripota am 2.12.2023 in seinen Notizen Nr. 527

Vor der Laterne ...
Es muss nicht immer die große Politik sein. Manchmal ist die kleine Politik viel erstaunlicher.
Vor der Garage,
vor dem großen Tor
steht eine Laterne,
und steht sie noch davor.
Schade, dass sie so finster ist,
weil man sie bei
der Gemeinde vergisst
wie einst Lili Marleen?
Wie einst Lili Marleen!

Vor unserem Haus (wie vor jedem anderen Haus in unserer Gemeinde) steht eine Laterne, die leuchtet nicht. Sollte sie aber. Seit Monaten ist die Birne kaputt, was im Sommer weder auffiel noch störte. Jetzt aber schon. Da meine Gattin demnächst eine Knieoperation durchstehen muss, wonach sie auf Krücken (und gutes Licht) angewiesen ist, fragten wir höflich bei der Gemeinde an, wann denn die Laterne repariert werden würde.

Wieso? kam die Antwort. Laut unseren Akten ist sie schon lang repariert. Ist sie aber nicht, entgegneten wir. Schauen Sie doch selber nach! Das brauch ich nicht, meinte sie, die Akten ...
So ging das eine Weile. Schriftliche und mündliche Klagen halfen nichts. Schließlich wurde es uns zu bunt, schweren Herzens zogen wir den Bürgermeister ins Vertrauen. Der staunte über solche Dinge in seiner ansonsten gut geführten Gemeinde, und er versprach, die Sache sofort zu erledigen.
Nach zwei Wochen bangen Wartens war es vor unserer Haustür immer noch stockedunkel. Also fragten wir wieder mal bei der Gemeinde nach, wann denn die Laterne repariert werden würde. Wieso? kam die Antwort. Laut unseren Akten ist sie schon lang repariert. Ist sie aber nicht, entgegneten wir. Schauen Sie doch selber nach! Das brauch ich nicht, meinte sie, die Akten ...

Das erinnert mich an ein Stück des von mir hochverehrten Sprachforschers und Alltagsphilosophen Valentin Frey, besser bekannt unter dem Namen Karl Valentin.
In seinem Sketch "Der Vogelhändler" aus dem Jahr 1940 geht es genauso zu, darum wird er hier in seiner ganzen vielsagenden Länge vorgestellt:
KARLSTADT Grüß Gott! - Ah, Sie sind der Ausgeher von der Vogelhandlung?
VALENTIN Sind Sie zu Haus?
KARLSTADT Ich wart schon so lange auf Sie; ich hab schon glaubt, Sie kommen nicht mehr.
VALENTIN Da ist der Kanarienvogel samt Käfig, und da ist die Rechnung.
KARLSTADT Das ist recht - wo ist denn der Hansi? - Der Käfig ist ja leer, wo ist denn der Vogel?
VALENTIN Der muss schon drin sein!
KARLSTADT Was heißt, muss drin sein? Es ist aber keiner drin.
VALENTIN Das ist ja ausgeschlossen. Ich bring Eahna doch net an leeren Käfig!
KARLSTADT Ja, bitte, schauns doch selber nein!
VALENTIN Da brauch ich gar net neinschaun, mir ham doch schließlich a reelles Geschäft; was glauben Sie, was die Kunden sagen täten, wenn wir überall an leeren Käfig hinbringen würden, und noch dazu ohne Vogel! Unsere Kundschaften werden richtig bedient, da fehlt sich nix.
KARLSTADT Was heißt, da fehlt sich nix? Natürlich fehlt was - der Vogel fehlt.
VALENTIN Da müsste er mir beim Transport auskommen sein, dass das Türl offen war.
KARLSTADT Redens doch nicht; das Türl kann nicht offen gewesen sein, das ist ja zu.
VALENTIN Des is zu?
KARLSTADT Natürlich!
VALENTIN Dann muss er drin sein!
KARLSTADT Er ist aber nicht drin.
VALENTIN Frau, das ist unmöglich. Bei einer geschlossenen Tür kann kein Vogel raus.
KARLSTADT Aber in dem Fall muss er doch rausgekommen sein, sonst wär er ja drin!
VALENTIN Drin muss er sein, da gibts gar koan Zweifel! Schauns amal auf d' Rechnung nauf, ob er auf der Rechnung steht!
KARLSTADT Ja, da steht er freilich: Ein Käfig mit Vogel 13 Mark.
VALENTIN No also, da sehn Sies! Glauben Sie, mein Prinzipal würde Ihnen eine Rechnung schreiben »Käfig mit Vogel 13 Mark«, und würde Ihnen statt an Käfig mit Vogel nur einen Käfig allein liefern? Der Käfig allein nützt Ihnen nichts und der Vogel allein nützt Ihnen auch nichts! Das ghört zusammen wie a Suppn ohne Salz.
KARLSTADT Was macht man jetzt da?
VALENTIN Ja, ich muss die Rechnung einkassieren. 13 Mark macht alles zusammen.
KARLSTADT Was heißt da, alles zusammen?
VALENTIN Ja, der Käfig und der Vogel.
KARLSTADT Vogel war doch keiner drin; ich bezahle doch nicht, was ich nicht vollständig bekommen habe.
VALENTIN Ja, dann nehme ich die ganze Ware wieder mit.
KARLSTADT Die ganze Ware ist gut; Sie können ja nur den Käfig mitnehmen, Vogel war a keiner drin.
VALENTIN Frau, der Vogel muss drin gewesen sein!
KARLSTADT Na, wo wär er denn dann hingekommen?
VALENTIN Das ist mir gleich. Auf der Rechnung steht: Käfig mit Vogel 13 Mark.
KARLSTADT Da müssen Sie mir aber zuerst einen Käfig mit Vogel bringen!
VALENTIN In diesem Fall nun nicht, Frau! Da bräuchte ich doch nur mehr den Vogel bringen!
KARLSTADT Wieso nur den Vogel? Ich brauch doch einen Käfig auch dazu!
VALENTIN No ja, an Käfig hams doch schon! Sie werden doch nicht behaupten, dass der Käfig auch ausgekommen ist.
KARLSTADT Reden Sie doch nicht. Der Käfig ist freilich da. Sie brauchen mir nur mehr den Vogel dazu liefern!
VALENTIN Einen Vogel allein liefern wir ja nicht; nur immer zusammen: Käfig mit Vogel.
KARLSTADT Ja, mir haben Sie den Käfig allein geliefert, ohne Vogel.
VALENTIN Aber auf der Rechnung steht: Käfig mit Vogel - bitte: Käfig mit Vogel!
KARLSTADT Ich bin doch nicht verpflichtet, dass ich Ihr saudummes Geschwätz anhör!
(Sie schlägt die Tür zu.)
VALENTIN Jetzt hats mir d' Tür vor der Nasn zuaghaut! Ich kanns der Frau auch wirklich nicht verdenken, denn es ist wirklich kein Vogel drin. - Aber auf der Rechnung steht tatsächlich: Käfig mit Vogel!
Als ob er dabei gewesen wäre! Und wie ging es mit unserer Laterne weiter? Das erzähle ich nächstes Jahr, sofern sie bis dahin wieder in Ordnung ist ...

So, das war die gesamte Meldung, Ripota ist ein Jugendfreund von meinemeinen, darum wird natürlich nächstes Jahr über die weitere Laternengeschichte hier berichtet werden!