Newsletter Nr. 85 von Niko Alm vom 25.3.2024
Die Arbeitswelt ist reich an Ratgebern, wie der Ramadan mehr oder weniger geschickt in den Alltag von Unternehmen integriert werden kann. Meine persönlichen Erfahrungen mit dem islamischen Fastenmonat halten sich in engen Grenzen, aber auch Anekdoten haben das Potenzial, vorliegende Haltungen zu falsifizieren.
Ich starte also mit einem kleinen Erfahrungsbericht:
Bald nachdem ich 2013 die meisten Anteile an meinem Unternehmen (Super-Fi) verkauft hatte, und wir in Wien die buchhalterischen
Anforderungen des Käufers – es handelte sich um das international tätige
Medienunternehmen Vice
– nicht mehr in unserem kleinen lokalen Admin-Team bewältigen konnten, suchten
wir via Headhunter nach einem CFO. (Ja, ich halte Bezeichnungen wie CFO für
einen Buchhalter einer kleinen GmbH mit etwas mehr als 100 Leuten eh auch für
lächerlich, aber andererseits auch irgendwie auch würdig und recht neben all
den CEOs, die heute auch EPU vorstehen.)
Der Kreis der Bewerberin und der Bewerber für diesen Posten war schnell auf
jene drei reduziert, mit denen wir auch Gespräche führen wollten. Darunter
war auch ein Mann, der zu diesem Behufe an einem heißen Tag im Frühsommer
in unser Büro gekommen war. Er wirkte gleich zu Beginn des Termins ein wenig
müde und nicht ganz konzentriert – auch keine Überraschung bei den Temperaturen.
Den angebotenen Kaffee und das Wasser lehnte er trotzdem ab. Es war Ramadan.
Er wäre für den Job trotz seines Zustands sogar halbwegs geeignet gewesen,
aber wir hatten später einer deutlich besser qualifizierten Bewerberin den
Vorzug gegeben. Einstellt hätte ich den Fastenden, wenn, dann nur mangels Alternativen.
Was mache ich mit einem Chefbuchhalter, der einen Monat im Jahr seine Arbeit
nicht ordentlich verrichten kann, weil er unkonzentriert und müde ist? Aber
vielleicht tu ich ihm damit Unrecht, weil er an dem Tag schlecht drauf war?
Den Induktivschluss, dass es am Ramadan liegt, würde ich aufgrund eines einzelnen
Datenpunkts nicht machen wollen, zumal ich diese selbstinduzierte Herabsetzung
der kognitiven Leistungsfähigkeit bei anderen muslimischen Kollegen nicht bemerkt
hätte.
Schwarzer Schwan
Ich weiß ja auch nicht, wie viele Muslime im Ramadan nur eingeschränkt arbeitsfähig
sind. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass zumindest manche durch eine strenge
Einhaltung ihrer Ritualvorschriften nicht ausreichend leisten können. Beim
Sport tritt das deutlich hervor: In manchen Fußballligen werden Spieler im
Fastenmonat vom
Kader suspendiert, , weil sie untertags nicht trinken und es werden
auch Spiele nach
dem astronomischen Sonnenuntergang unterbrochen, damit Fußballerinnen
und Fußballer gottgenehm trinken dürfen. Dagegen ist nichts einzuwenden –
Sportverbände geben sich ihre Regeln selbst, das Publikum darf entscheiden,
ob es diese Regelungen akzeptiert. Im Umkehrschluss müssten aber auch die Verbände
und Vereine akzeptieren, wenn die Fans diese Unterbrechungen als übernatürliche
Sonderausnahmen nicht tolerieren wollen.
“A Murder
of White Crows” generated by Midjourney
Fußball ist ein körperlich anstrengender Sport. Vielleicht schränkt das Fasten die Ausübung anderer Berufe gar nicht ein oder es handelte sich bei dem Bewerber einfach um den einen schwarzen Schwan, der zur Falsifikation der Hypothese reicht, dass der Ramadan kein Hindernis in der Arbeitswelt darstellt?
Eine generelle Betrachtung ist ohnehin nicht besonders relevant, weil nur der Einzelfall zählt. Es ist die freiwillige Entscheidung jedes erwachsenen Menschen, seine Arbeitstauglichkeit einer Religion unterzuordnen, selbst wenn damit die eigene Karriere untergraben wird. Anders verhält es sich bei Kindern, die im Ramadan den Schulunterricht fastend, vielfach unkonzentriert und dehydratisiert erleben. (Ja, „dehydratisiert“, weil dem Körper Wasser und nicht – wie beim Dehydrieren – Wasserstoff entzogen wird.) Ein Zustand, der nicht nur gesundheitsschädlich ist, sondern von Lehrerinnen und Lehrern zwar beklagt wird, aber dem offensichtlich in der öffentlichen Diskussion und behördlich nicht entgegengewirkt wird. Vielleicht vertiefe ich das an anderer Stelle weiter.
Und was ist mit der Religionsfreiheit?
Eine qualitative Einordnung der gesundheitlichen, sozialen und professionellen
Effekte des magischen Fastens kollidiert per se nicht mit der Ausübung der
Religionsfreiheit. Eine Person nicht beschäftigen zu wollen, weil ihr religiös
begründetes Verhalten mit den Anforderungen des Arbeitsplatzes nicht übereinstimmt,
richtet sich nicht gegen eine bestimmte Religion oder gar gegen Religion allgemein.
Selbstverständlich wäre die Gläubigkeit des prospektiven CFO an sich für
die Zusammenarbeit kein Problem gewesen. Ich habe in meinem Leben hunderte Leute
– hauptsächlich in meinen eigenen Unternehmen – eingestellt und mich nie
für die persönlichen Überzeugungen dieser Personen interessiert. Da war sicher
vieles dabei, mit dem ich nicht einverstanden war und vieles – darunter jedenfalls
Astrologie, Islam, Katholismus und Kommunismus – das ich auch ungefragt mitbekommen
und geduldet habe. Konfessionsfreie haben bei mir allerdings einen Tag extra
Urlaub bekommen und ich habe keine Ahnung, ob diese Form der positiven Diskriminierung
meines affirmativen Aktionismus legal war oder nicht. Es war mir damals genauso
egal wie heute.
Laizität
Das Zusammenleben in einer polykulturellen multimoralischen Gesellschaft ist
auch für mich eine Realität, die ich ohne Widerwillen akzeptiere, weil sie
das Leben spannender macht, solange die Aushandlungsprozesse über die
noch ungeteilten Werte halbwegs im Rahmen bleiben. Wenig Spaß machen diese
Diskussionen nur mit jenen, die moralisch in den Sackgassen des Labyrinths der
Evidenzfreiheit feststecken und Gefühle über Daten stellen. Sie stoßen Hilferufe
wie „Free Palestine“ aus, weil sie nicht mehr aus dem Irrgarten herausfinden,
in den sie ohne ethischen und intellektuellen Kompass hineingelaufen sind.
Wir können so verschieden sein, wie wir wollen, solange wir uns auf ein ethisches
Fundament einigen, das wir gemeinsam teilen, sagt die italienische Philosophin
Cinzia Sciuto: „Je komplexer eine Gesellschaft wird, desto härter und unhinterfragbarer
muss dieser Wertekern werden, da man andernfalls Gefahr läuft, dass unter den
zentrifugalen Bestrebungen identitärer Forderungen die Zugehörigkeit zur politischen
Gemeinschaft verblasst, mit dem Resultat, dass Parallelgesellschaften entstehen,
in denen die Rechte der Individuen ihre Verbindlichkeit einbüßen.“ (S. 141
Sciuto, Cinzia. Die Fallen des Multikulturalismus: Laizität und Menschenrechte
in einer vielfältigen Gesellschaft. Rotpunktverlag. Kindle Edition.) Dieser
Kern umfasst auch Laizität als vorpolitische Voraussetzung für Demokratie.
Die Konsequenz dieser republikanischen Disposition ist ein Staat, der seine
Bürgerinnen und Bürger nur mit wenigen Einschränkungen wie etwa biologisches
Alter nicht nach äußeren Merkmalen kategorisiert. Den Staat hat ethnische
Herkunft, sexuelle Identität, Hautfarbe oder sexuelle Orientierung, genauso
wenig zu interessieren wie die politische, religiöse und weltanschauliche Haltung
seiner Mitglieder.
Die Durchsetzung dieser einfachen Idee von gleichen Rechten hat keine dramatischen
Konsequenzen. Neben der Aufhebung von Diskriminierungen und Privilegierungen
beim Pensionsantrittsalter und der allgemeinen Wehrpflicht würden auch die
Bevorzugungen von Religion an sich und einzelnen konkreten Religionsgesellschaften
aufgehoben werden. Ich zähle sie an dieser Stelle nicht auf, weil ich sie meinem
Publikum als bekannt voraussetzen darf.
Eine nenne ich aber aus gegebenem Anlass:
Wenn im Ramadan wie in mit
Steuergeld religiöse Straßendekorationen als muslimische
Werbeflächen finanziert werden, wird einmal mehr das staatliche Neutralitätsgebot
verletzt. Der Glaube an magisches Fasten ist Privatsache, kann in die Praxis
umgesetzt, im Arbeitsleben geduldet werden oder auch nicht, aber für den weltanschaulich
neutralen Staat dürfen religiöse Rituale nicht Gegenstand von Vorteilen werden.
Das gleiche gilt selbstverständlich auch für andere Religionsgemeinschaften
und analog für christliche Markierungen (Kreuz, Kruzifix) in Schulen und Amtsgebäuden.
Nota bene: Es ist etwas völlig anderes, wenn diese Werbung für den Islam privat
bezahlt wird – speziell, wenn Staat, Länder und Gemeinden sonst der ordentlichen
Trennung von Republik und Religion entsprechend verwalten. Für Religion ist
wie für andere traditionelle Ausdrucksformen genug Platz im öffentlichen Raum.
Sie soll nur nicht von der Allgemeinheit gesponsort werden.
RAmen
Alm
_________________________________________________________________________________________