Großzügig verteilen deutsche Politiker und
Medien das Etikett Diktatur, wenn die so firmierten Staaten missliebig
sind. Ebenso großzügig werden Diktaturen, die man mag in Königreiche
umgedichtet oder, wenn es gar nicht anders geht, in "autoritäre Staaten"
umgelogen. Dieser Begriff aus der Verschleierungsschublade fiel jüngst
dem Chefhistoriker des VW-Konzerns, Manfred Grieger, aus dem Mund als er
auf dem Weg nach Sao Paulo war. Denn die Volkswagen AG betrügt nicht
nur ihre Kunden mit gefälschten Abgaswerten, sie war auch aktiver
Komplize der brasilianischen Folterdiktatur. Davon geht jedenfalls eine
Anzeige der brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft gegen VW aus, die
auf einem Bericht der brasilianischen Wahrheitskommission fußt und vor
zwei Wochen auf dem Konzernschreibtisch in Wolfsburg landete.
Der VW-Konzern - durch die Besitzanteile des
Landes Niedersachsen ein wichtiger Scharnier-Betrieb zwischen Staat und
Kapital – begreift sich seit seiner Neugründung nach dem Zweiten
Weltkrieg als Speerspitze westdeutscher Exportpolitik. Kaum hatte
Hitlers Lieblingsunternehmen die Produktion der Vergeltungswaffe V1
eingestellt und die Zwangsarbeiter entlassen, soweit sie die Arbeit bei
VW überhaupt überlebt hatten, wurde die erste Auslandsniederlassung
gegründet: Die Volkswagen of South Africa (Pty.) Ltd. entstand bereits
1946 in der befreundeten Apartheid-Diktatur, im südafrikanischen
Uitenhage. Da konnte es nicht ausbleiben, dass 1953, in der Zeit des
"wohlwollenden Diktators" Getúlio Vargas, die "Volkswagen do Brasil
Sociedade Limitada" in einem Vorort von São Paulo aus dem Boden
gestampft wurde. Der wohlwollende Vargas erhielt im selben Jahr die
„Sonderstufe des Großkreuzes“ des Verdienstordens der Bundesrepublik
Deutschland. Auch die Argentinische Militärdiktatur (von 1976 bis 1983)
durfte sich seit 1980 mit einem Produktionsstandort von Volkswagen
schmücken.
Ein wahrer Höhepunkt deutscher Freundschaft mit
der brasilianischen Folterdiktatur war 1968 die Unterzeichnung des
Abkommens zur wissenschaftlich-technischen Kooperation in Brasilien
durch den Außenminister der damaligen Großen Koalition Willy Brandt. Ein
Abkommen, das punktgenau zur Unterzeichnung des "Deutsch-brasilianischen Abkommens über Zusammenarbeit auf dem Gebiet
der friedlichen Nutzung der Kernenergie" im Juni 1975 führte. Stolzer
Unterzeichner: Hans Dietrich Genscher. Als dann der brasilianische
Diktator Ernesto Geisel 1978 die Bundesrepublik besuchte, trafen sich mit
ihm Bundespräsident Walter Scheel, ebenso wie Bundeskanzler Helmut
Schmidt, Helmut Kohl, Franz-Josef Strauß und Hans Filbinger.
Schon im Februar 2014 hatte die brasilianische
Wahrheitskommission zur Aufarbeitung der Militärdiktatur beschlossen,
den Volkswagen-Konzern auf seine Zusammenarbeit mit dem Militärregime
hin zu untersuchen.
Dem Automobilunternehmen wurde und wird vorgeworfen,
mit Spenden die Vernetzung zwischen Militärs und Unternehmen im Vorfeld
des Staatsstreiches vom 31. März 1964 und später den Aufbau eines
militär-industriellen Komplexes mitfinanziert zu haben. Besonders
unappetitlich ist die Verwicklung von VW in den Sturz des 1961
demokratisch gewählten Präsidenten João Goulart. Für diese hilfreiche
Vorbereitung der Diktatur hat VW Geld gespendet, das unter Aufsicht der
Militärakademie (Escola Superior de Guerra, ESG) in den Aufbau eines
eigenen militärindustriellen Komplexes geflossen ist. Von der Verhaftung
politisch missliebiger VW-Arbeiter auf dem Werksgelände über die
Entlassung von Streikführern bis zur Kooperation des VW-Sicherheitschefs
Coronel Rudge mit den Agenten der Diktatur: Der Konzern hat nur wenig
ausgelassen, um dem "autoritären Staat" dienlich zu sein.
"Das Thema will umkreist sein" merkt
VW-Chefhistoriker Grieger zur Kooperation zwischen Diktatur und Konzern
an, um dann schnell die Schuld bei anderen zu suchen. Denn er hat den
Eindruck "dass die Aufarbeitung in Brasilien mit dem Fingerzeig auf
ausländische Firmen besser gelingt." Und so kreist VW um die eigene
Schuld herum, um sich aus der Verantwortung für Diktatur und Folter
schneller herauszuwinden, als es in der Abgasfrage gelingen wird. Doch
würde der VW-Historiker Grieger in den Akten des Auswärtigen Amtes
sicher Belege dafür finden, dass die Neigung des Konzerns zu Diktaturen
immer staatliche Billigung gefunden hat. Wenn man ihm den Einblick in
diese Unterlagen geben würde. Schon ein Blick auf die Web-Site des Amtes
zeigt, dass Diktaturen wie die in Usbekistan, in Kasachstan oder
Turkmenistan dort schlicht "Präsidialrepubliken" heißen, während
diktatorische Terror-Unterstützer wie Saudi Arabien oder Katar als
Monarchien getarnt auftauchen. Sicher würde VW in diesen Ländern prima
Produktionsbedingungen finden, denn deren Beziehungen zum offiziellen
Deutschland sind heute ebenso blendend, wie damals die deutschen
Verbindungen zu den Diktaturen in Lateinamerika oder Afrika waren.