Lieber Herr Großscheich,
willkommen in Deutschland. Ich finde es
großartig, dass der Kopf des sunnitischen Islam nach Europa kommt und
den Dialog mit dem Christentum sucht. Sie werden am Dienstag eine Rede im Deutschen
Bundestag halten und darin vermutlich von der Friedfertigkeit des Islam schwärmen.
Sie werden betonen, dass al-Azhar eine Hochburg des moderaten Islam sei und
die Gemeinsamkeiten der drei monotheistischen Religionen betonen. Sie werden
den IS verdammen und behaupten, dass die Taten der Terrormiliz in keiner Weise
durch den Islam zu legitimieren seien. Sie werden jene Passagen aus dem Koran
zitieren, die Toleranz und gutes Zusammenleben fördern, und jene ignorieren,
die Gewalt gegen Andersgläubige verherrlichen.
Aber hat sich al-Azhar
nicht dafür stark gemacht, dass jede Kritik am Islam juristisch verfolgt
wird? Waren nicht Al-Azhar-Gelehrte mit ihren Apostasie-Fatwas dafür verantwortlich,
dass der sudanesische Religionsreformer Mahmoud Taha im Jahre 1985 hingerichtet
wurde, nur weil er die Gewaltpassagen im Koran als nicht mehr gültig erklärte?
Führten nicht ähnliche Fatwas aus al-Azhar zur Ermordung des ägyptischen
Denkers Faradsch Fauda 1992 in Kairo?
Allein in den letzten drei Monaten
mussten zahlreiche Ägypter wegen Kritik an islamischen Gelehrten ins Gefängnis,
darunter die Dichterin Fatma Naout und der Religionsreformer Islam al-Beheri.
Vier minderjährige Kopten wurden in Südägypten zu fünf Jahren
Haft verurteilt, nur weil sie IS-Kämpfer beim Gebet nachahmten.
Als
Präsident al-Sisi letztes Jahr von al-Azhar eine Reform des religiösen
Diskurses forderte, reagierte Ihre Institution mit der Errichtung von zwei Kommissionen:
Eine zur Bekämpfung des Atheismus in Ägypten und eine zur Verbesserung
des Images des Islam im Westen. Deshalb sind Sie nun nach Europa gekommen: Nicht
um den aufrichtigen und ehrlichen Dialog zu suchen, sondern um das Bild Ihrer
Religion aufzupolieren.
Der IS tut nichts anderes als die Umsetzung
dessen, was in den Büchern von al-Azhar steht
Wäre es eigentlich
nicht sinnvoller, Herr Imam, erst mit Schiiten, Bahaais, Kopten und kritischen
Muslimen im eigenen Land einen Dialog zu führen, bevor Sie mit dem Westen
unehrliche freundliche Worte austauschen? Wäre es nicht sinnvoller, statt
eine leere Verurteilung des IS auszusprechen, erst die Al-Azhar-Lehrbücher
von Hass, Verherrlichung der Gewalt, der Sklaverei und des Dschihads und der
Verurteilung von Juden und Christen zu reinigen? Jeder kritisch denkende Mensch
in Ägypten weiß, dass der IS nichts anderes tut als die Umsetzung
dessen, was in den Büchern von al-Azhar steht.
Also warum nehmen Sie
die große Mühe auf sich, das in Berlin zu versuchen, was Sie längst
in Kairo hätten tun müssen? Das geringste Problem des Islam heutzutage
ist sein Image im Westen. Der Islam hat in erster Linie ein Problem mit sich
selbst, mit der Unantastbarkeit seiner Texte und mit seinen politischen Ansprüchen.
Und Sie, Herr Imam, und Ihre Institution sind ein Teil dieses Problems. Ob Sie
auch ein Teil der Lösung werden könnten, wage ich zu bezweifeln, denn
wenn Sie damit anfangen, die religiöse Behörde tatsächlich zu
reformieren, wird es der Anfang vom Ende sein - wie mit Gorbatschow und der
Sowjetunion.
Herzlich, Hamed Abdel-Samad,
der vor drei Jahren einen
Mordaufruf von einem Professor Ihrer Universität bekam, ohne dass Sie und
Ihre Institution etwas dagegen unternommen haben.
Hamed Abdel-Samad,
geboren 1972 als Sohn eines Imam in Kairo, er studierte Sprachen, war ab
1995 in Deutschland, wo er Politologie studierte. Er trat als Islamkritiker
in Erscheinung, am 4. Juni 2013 warf er bei einem Vortrag in Kairo der Muslimbruderschaft
"islamischen Faschismus", am 5.6.2013 wurden im Internet Mordaufrufe
gegen ihn veröffentlicht, am 7.6. wurden im ägyptischen Fernsehen
wegen "Beleidigung des Propheten" zum Mord an Samad aufgerufen.
Abdel-Samad
hält den Islam für unreformierbar, Muslime könnten jedoch ihre
Werte reformieren und einen Islam schaffen, ohne Scharia, Dschihad, Frauendiskriminierung
und den Anspruch die alleinig wahre Religion zu sein.
Sein Buch "Der islamische Faschismus: Eine Analyse" erschien
2014 bei Droemer, 2015 folgte "Mohamed – Eine Abrechnung".
Hier
ein YouTube-ARD-Report mit Abdel-Samad zum Thema: