Welche Rolle spielen Muslime in der westlichen
Gesellschaft und Demokratie? Diese Frage ist Thema beim „Streitforum“,
zu dem das Forum St. Severin einlädt. Einer der Teilnehmer ist der
ehemalige Grüne Bundesrat Efgani Dönmez. Ein Gespräch über Islam und
Frauenrechte, Fehler der Linken und über Muslime, die nicht alle Opfer
sind.
Efgani
Dönmez (39) ist in der Türkei geboren und im Salzkammergut
aufgewachsen. Der Sozialarbeiter ist Mitglied der Grünen und war
Abgeordneter im Bundesrat. Er schreibt an einer Dissertation an der
Katholischen Privat-Universität Linz. (Screenshot aus der ORF-Sendung "OÖ
heute" vom 5.4.)
Wie sind Sie mit Religion aufgewachsen? Wie halten Sie es persönlich mit dem Glauben?
Efgani
Dönmez: Meine Eltern sind sehr gläubige Moslems, die aber sehr tolerant
sind. Sie sehen die Wahrheit, die anderen Religionen innewohnt, das
habe ich von ihnen mitbekommen. Ich gehöre zu den - leider Gottes -
wenigen Moslems, die eine aufgeklärte Linie verfolgen. Gewisse
Glaubensinhalte sehe ich für mich nicht als verbindlich. Viele
Strömungen des Islams erscheinen mir weltfremd.
Welche Stellung soll der Islam in der Gesellschaft Ihrer Meinung nach haben?
Dönmez:
Ich vertrete die säkulare Linie, die klare Trennung zwischen Staat und
Religion. Nicht in dem Sinne wie in der früher laizistischen Türkei, als
Politik eher die Religion unterdrückt hat. Das meine ich nicht, sondern
Politik und Religion auf gleicher Augenhöhe. Die Vermischung der
Politik mit Religion führt immer nur zu massiven Konflikten.
Wo widerstrebt der politisch beeinflusste Islam den Werten Österreichs?
Dönmez:
Am deutlichsten sichtbar wird es an der Stellung der Frau, wo sie
benachteiligt, ausgegrenzt und unsichtbar gemacht wird. Das widerstrebt
unseren Werten und hat mit dem koranischen Islam nichts zu tun.
Ist die Aussage, dass der Islam zu Österreich gehört, für Sie zu hinterfragen?
Dönmez:
Muslime gehören natürlich klar zu Österreich. Es kommt aber darauf an,
wie der Glaube gelebt wird. In Österreich wird - vom Ausland aus
unterstützt - in vielen Moscheen Politik betrieben. Bis jetzt hat sich
die österreichische Politik viel zu oft auf Seiten der reaktionären
Kräfte gestellt. Spätestens nach Terroranschlägen müssen bei den
Politikern die Alarmglocken läuten. Hier ist Toleranz nicht angebracht.
Das Kopftuch ist ein starkes Symbol. Sollte das Tragen des Kopftuchs eingeschränkt werden?
Dönmez:
Im Koran gibt es keine Stelle, in der eine Kopftuchpflicht
festgeschrieben wird. Wenn das eine Frau aus freien Stücken macht, ist
das ihre Entscheidung, wenn sie dazu gezwungen wird, ist das traurig und
schade. Aber das werden wir nicht oder kaum mitbekommen. Daher ist das
eine Diskussion, die zu nichts führt. Im Unterschied zur Burka, das ist
eine sichtbare Form der Unterdrückung der Frau, das gehört verboten.
Wo
ziehen Sie die Grenzen der Religionsfreiheit? Auch konservative
Vertreter des Islams können sich ja darauf berufen, dass es ihre
Freiheit ist, so den Islam zu leben.
Dönmez: Ich will es an einem
Beispiel konkret festmachen: Wenn Schulkinder einer Lehrerin die Hand
verweigern und sich dabei auf den Islam berufen, dann ist sehr viel
schiefgelaufen. Hier kann man nicht mit Religionsfreiheit
argumentieren, denn das hat nichts mit Religion zu tun. Wer sich so bei
uns verhält, dem muss man sagen: "Du bist hier nicht willkommen."
Viele
Muslime haben außerdem die Nase voll davon, dass sie mit solchen Leuten
in den gleichen Topf geschmissen werden.
Islamkritik ist ein Tabuthema.
Dönmez: Ich
halte nichts davon Menschen, zu diffamieren, die an etwas glauben. Der
Islam kann sich aber nur auf die Höhe der Zeit bringen, wenn er
kontroversielle Diskussionen zulässt. Wir Muslime haben in Österreich
und Europa die Freiheit, der Forschung und Lehre Fragen zu stellen und
Diskussionen in Gang zu setzen, die in vielen muslimischen Ländern
denkunmöglich sind. Und diese Freiheit sollten wir nutzen.
Ein Vorwurf Ihnen gegenüber ist, dass Sie mit Ihrer Kritik ähnliche Positionen wie Rechtspopulisten vertreten.
Dönmez:
Schauen Sie einmal beim Fenster raus: Der Himmel, der ist heute
eindeutig grau. Wenn ich jetzt sage, der ist aber eigentlich blau,
werden Sie sagen, der Dönmez ist irgendwo ang‘rennt. Genauso ist diese
Diskussion. Wenn die Rechte etwas behauptet, hält die Linke automatisch
dagegen und behauptet das Gegenteil und genauso umgekehrt. Das führt zu
einer Polarisierung. Wenn es ein Problem gibt, muss man das benennen.
Die Linke muss sich hier massiv Kritik gefallen lassen, denn es sind
nicht alle Muslime Opfer und gehören beschützt, da muss man ganz genau
hinschauen. Und gerade für Linke, die etwa die Frauenrechte hochhalten,
müsste es das ureigenste Interesse sein, sich dafür einzusetzen.
Was unterscheidet Sie von den Rechtspopulisten?
Dönmez:
Ich habe andere Lösungsvorschläge. Die Rechtspopulisten differenzieren
nicht zwischen Politischen Islam und Islam. Für die ist alles gleich und
alle Ausländer. Ich sage wir müssen zwischen dem Glauben an und für
sich, der politischen Instrumentalisierung unterscheiden und jenen den
Rücken stärken die für eine säkular aufgeklärte Haltung eintreten. Da
gibt es auch auf der linken Seite viel dazuzulernen. Weil wer weiß schon
wie viele islamische und islamistische Gruppierungen er in Österreich
gibt? Die sind keine kulturelle Bereicherung, ganz ehrlich.
Es wäre auch denkbar, dass innerhalb des Islams Werte wie Meinungs- und Religionsfreiheit vorangetrieben werden.
Dönmez:
Das ist die Verantwortung des islamischen Klerus hier künftig auch
Diskussionsprozesse zuzulassen, wie über Meinungsfreiheit,
Gleichberechtigung von Mann und Frau. Das größte Problem haben wir mit
dem Klerus, der die Intellektuellen bisher in Ketten gelegt hat, keine
Diskussion zugelassen hat. Kritiker sind mit dem Tod bestraft worden.
Das hat zu einer geistigen Verarmung geführt. Vor dem Scherbenhaufen
dieser Theologie der Verachtung stehen wir heute. Die Terrorakte des IS,
das ist nicht zufällig von heute auf morgen passiert. Dazu wurde
Jahrzehntelang von einem instrumentalisierten Klerus der Nährboden dafür
aufbereitet.
In einer Kolumne in den OÖ. Nachrichten
bezeichneten Sie vor Kurzem den Klerus allgemein als Feind der Menschen.
Eine heftige Kritik, plädieren Sie für religionsfreie Gesellschaft?
Dönmez:
In der Öffentlichkeit sollte Religion kein Thema sein, das meine ich
damit. Ich möchte ihnen als Mensch begegnen so wie sie sind, mit ihrem
Charakter, mit ihrem Denken und Handeln und mir ist das wurscht welcher
Religion sie angehören. Natürlich will die Politik und Religion Macht
ausüben und sagen in welche Richtung es geht. Das kritisiere ich, was
geht mich das an wie viele Kinder sie haben oder umgekehrt und was geht
das die Kirche oder die Politik an?
Sie kritisieren viel. Gibt es für Sie ein Positivbeispiel für einen Religionsvertreter?
Dönmez:Für
mich ist das Papst Franziskus. Er will einen Reformprozess in seiner
Kirche auslösen. Ein wirklich bewundernswerter Mann und wie ich den
letzten Akt bei der Ostermesse gesehen habe, sind mir fast die Tränen
gekommen. Das erste Mal ein Papst der Frauen, Flüchtlingen, Muslimen die
Füße wäscht. Er versucht wirklich Reformen und Aufklärung
voranzubringen und das ist in Zeiten wie diesen so notwendig wie ein
Tropfen Wasser in der Wüste.
Sie haben Ihr Büro in der Nähe der Katholischen Privatuni. Gibt es einen speziellen Grund?
Dönmez:
Ja, ich studiere dort. Ich plane meine Dissertation zu machen, mir
fehlen aber noch ein paar ECTS Punkte (30 auf 300), jetzt muss ich ein
paar Fächer machen, es gibt wirklich spannend Fächer dazu, es ist
schwierig Zeit zu finden. Das ist mein Ziel für die nächsten Jahre, dass
ich mich auf diesem Gebiet noch spezialisiere.
Das Thema?
Dönmez: Das Verhältnis von
Staat und Religion, im Kontext bei den jüngsten staatlich anerkannten
Glaubensgemeinschaften, der Aleviten und welche Rechte und Pflichten
damit einhergehen. Und welche Auswirkungen das im Herkunftsland hat. Das
ist komplettes Neuland, das interessiert mich. Die Toleranz der
Katholischen Privatuni ist wunderbar. Mir gefällt, das ich als Moslem
hier studieren kann.
Die Fragen stellte Paul Stütz