"Rechtliche Bedenken" hatte die Regierung als Grund für
ihre Entscheidung angeführt, die Grenzen vor dem Flüchtlingsansturm im
Herbst 2015 nicht zu schließen. Nun wird bekannt: Spitzenbeamte hatten
in einem Geheimpapier das Gegenteil festgestellt.
Die deutschen Grenzen hätten im Herbst 2015 ohne rechtliche Bedenken geschlossen werden können. Dies berichtet die Welt am Sonntag,
der ein geheimes Papier aus dem Bundesinnenministerium vorliegt. Dieses
beinhaltete einen von Spitzenbeamten erarbeiteten Plan, die Grenzen für
die im September 2015 ausgelöste Migrationswelle zu schließen.
Hier
der Link
zum Anschauen des Geheimpapiers!
Unter dem Titel "Möglichkeit einer Zurückweisung von Schutzsuchenden
an deutschen Grenzen" hatten die Beamten Möglichkeiten erörtert, die
Grenzen zu schließen und Flüchtlingen den Übertritt von Österreich nach
Deutschland zu verwehren. In mehreren Non-Papers, die nicht zur
Veröffentlichung vorgesehen waren, kamen sie zu dem Schluss, dass eine
Zurückweisung möglich und rechtlich unbedenklich sei.
Die
Bundesregierung hatte in den Jahren seit 2015 immer wieder "rechtliche
Bedenken" als mit ausschlaggebend für ihre Entscheidung angeführt, die
Grenzen für Flüchtlinge offenzuhalten. Die Enthüllung der WamS
belegt nun, dass die Entscheidung eine rein politische war. Dies dürfte
die Bemühungen in der Union, das Flüchtlingsthema endlich hinter sich zu
lassen, weiter erschweren. Noch im Oktober, vor ihrer Ankündigung, sich
vom Parteivorsitz zurückzuziehen, hatte Merkel auf dem Parteitag der
Thüringer CDU gewarnt:
"Wenn wir uns für den Rest des
Jahrzehnts damit beschäftigen wollen, was 2015 vielleicht so oder so
gelaufen ist und damit die ganze Zeit verplempern, dann werden wir den
Rang als Volkspartei verlieren."
Die Veröffentlichung des Papiers aus dem Innenministerium führt nun
wenigstens bei Teilen der Opposition zu einer Neubewertung der
Ereignisse von 2015. FDP-Chef Christian Lindner forderte gegenüber der WamS "restlose Aufklärung":
"Die
Enthüllungen werfen ein grelles Licht auf die Regierungspraxis von Frau
Merkel. Für das Land zentrale Fragen werden in abgeschotteten und
verdunkelten Runden debattiert. Die Entscheidung, ob unser Land über das
geordnete Rechts- und Grenzregime hinaus Flüchtlinge aufnehmen soll,
hätte aber öffentlich und parlamentarisch debattiert werden müssen."
Lindner forderte einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur
Aufklärung der Vorgänge von 2015. Die Koalition und die Grünen sollten
sich endlich dafür öffnen, damit "eine Aufarbeitung und Befriedung
dieses Komplexes möglich" werde.
Bei
den Vertretern der "Großen Koalition" stieß Lindners Forderung auf
Ablehnung. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius sagte: "Ich
wüsste nicht, was das bringen sollte." Der CDU-Bundestagsabgeordnete
Christoph de Vries erklärte: "Auf einer endlosen
Vergangenheitsbewältigung liegt kein Segen." Vertrauen und
Glaubwürdigkeit ließen sich nur zurückgewinnen, wenn man nach vorne
schaue.
Ähnlich wie Lindner beurteilt Oskar Lafontaine das Thema.
Der Linken-Fraktionschef im saarländischen Landtag sagte, dass man
selbstverständlich über die Ereignisse von 2015 reden müsse:
"Weder
der Bundestag noch die Bundesländer noch die europäischen Nachbarn
wurden in diese Entscheidungen ausreichend einbezogen. Bis zum heutigen
Tag fehlt es an der notwendigen Transparenz, die Voraussetzung einer
demokratischen Entscheidung ist."
Vor dem Hintergrund des Ringens um den CDU-Parteivorsitz kann der Artikel in der zum Axel-Springer-Verlag gehörenden Welt am Sonntag
als Schützenhilfe für den Merkel-kritischen Friedrich Merz verstanden
werden. Annegret Kramp-Karrenbauer, seine Hauptrivalin, hatte sich bei
der Vorstellung ihrer Kandidatur in der Flüchtlingsfrage nicht klar von
Merkel abgegrenzt. Sie erklärte, dass das, was 2015 passiert sei, nicht
rückgängig gemacht oder rückabgewickelt werden könne.