Inkonsistenzen 3, Zeit im Bild

Newsletter Nr. 64 vom 4.4.2022 von Niko Alm - Katar, Schweden und Ungarn

Neben vielen anderen Anpassungen des Alltags führte die Pandemie - zumindest bei uns zu Hause - auch zu einem höheren Konsum der Zeit im Bild (alle Uhrzeiten mitgemeint). Das ist weder Selbstgeißelung noch einer großen Begeisterung für das größte Medienhaus des Landes geschuldet, sondern mehr der Bequemlichkeit einer ORF-TVthek, die live zeitversetzt funktioniert.
Während eine grundsätzlich solide Berichterstattung dieses Nachrichtenformats die wesentlichen Ereignisse des Tages vermittelt, kann beim Zuhören und - sehen, der professionelle und politische Blick auf Inhalt und Präsentation der Nachrichten naturgemäß nicht abgestellt werden. Vieles daran ist auffällig und könnte kommentiert werden, aber weder habe ich das systematisch festgehalten, noch will ich daraus eine unbezahlte Studie machen. Also überbringe ich hier in Folge nur ein paar anekdotische Evidenzen und einen Eindruck, der sich über die letzten zwei Jahre verfestigt hat.

Mit Effet
Vor allem die Nachrichtensprecherinnen der ZiB1 (um 19.30) und ihre männlichen Beifahrer tendieren zur passiven (nicht-expliziten) Einordnung des Geschehens durch einen gewissen Drall in der Wortwahl gepaart mit einer selektive Überbetonung von Sachverhalten, die gemeinhin bekannt sind, egal ob es um Kriegsverbrechen, die Klimakatastrophe, Fakten zur Impfung etc. geht. Klassisches Framing eben.
Auch, wenn ich die meisten Zugänge als Zuseher selbst inhaltlich teile, wirkt dieser vorauseilende Versuch einer richtigen Einordnung paternalistisch, dient er doch vor allem dazu, den Standpunkt der Redaktion klar zu machen. Aber warum beschwere ich mich, wenn ich es doch aus so sehe? Aus persönlicher Sicht kann ich auf versteckte Denkanleitungen verzichten, aber das ist unerheblich; wichtiger ist: In Summe geht der erzieherische Zug zur Akzentuierung und vorschnelle Wertungsexzess auch zu Lasten der Information, die damit Gefahr läuft über die Konzentration auf Einzelaspekte größere Zusammenhänge aus den Augen zu verlieren. Auch das ist eine Form der false balance, die ja unlängst als Begriff ins Repertoire unserer bald neun Millionen Virologinnen, Teamchefs, Militär- und Medienexperten aufgenommen wurde.

Bekräftelse
Dass letzten Donnerstag bei einem Beitrag über das schwedische vermeintliche "Laissez-faire-Modell" im Umgang mit der Pandemie im wesentlichen nur eine mehr als unausgewogene und anderenorts verbratene politische Studie herangezogen wurde, die mit tendenziösen Grafikmaterial (verglichen wurden nur skandinavische Staaten), affirmativen Wortmeldungen und faktischen Fehlern angefettet wurde, kann man als einfachen Fehler betrachten. Das kommt davon, wenn einer vom anderen abschreibt und sich auf Fremdrecherchen verlässt. Es passte aber gut zum eigenen moralischen Standpunkt und zu einem perpetuierten Bild eines verderbten Pandemiemanagements Schwedens, das bei wesentlichen Kennzahlen übrigens kein Ausreißer ist, sondern im europäischen Durchschnitt liegt. Das macht zwar die aufgezeigten schwedische Versäumnisse nicht wett, aber bringt die Frage auf, ob man sich diese moralische Strenge des ORF dann nicht auch gegenüber anderen Ländern (insbesondere dem eigenen), Institutionen und sich selbst erwarten darf

Katar-Kater
Letzte Woche wurde in er ZiB auch über die Auslosung der Herrenfußball-WM in Katar berichtet bzw. eigentlich über die Kritik der Chefin des norwegischen Fußballverbands an der Behandlung von Arbeitern und fehlenden LGBTQ-Rechten in Katar.
Selbstverständlich ist die Präsentation dieser Werturteile notwendig und genauso selbstverständlich wurde im folgenden ORF Sport davon nichts gesagt. Dass der ORF die Übertragung der WM ebenso wenig in Frage stellt wie die der Olympischen Spiele, ist wohl nicht einmal ein Gedanke wert.
Als Gatekeeper bewusst die Kritik zu singularisieren, zieht noch nicht die Pflicht nach sich, die Ereignisse auch zu boykottieren, zumal sicher auch irgendwelche österreichischen Masseure und Ko-Trainer bei der WM arbeiten werden, die in den Übertragungen (wahrscheinlich laut ORF-G) erwähnt werden müssen.

Orbánalitäten
Es ist auch würdig und recht, wenn bei der Wahl in Ungarn die Politik Viktor Orbáns im Hinblick auf liberalen Rechtsstaat und Pressefreiheit thematisiert wird. Es ist ein unverzichtbarer Hinweis auf markante Differenzen in gesetzlich verankerten gesellschaftlichen Werten.
Unabhängig davon, ob man diese journalistischen Fingerzeige von Wertebildern auch selbst teilen will, muss der Seher davon ausgehen, dass die Schurkenstaaten und ihre Vertreterinnen gemäß des Moralchromatographen in den ZiB-Redaktionen gleich behandelt werden, auf dass sich keine Verzerrung der Wirklichkeit (Teamchefs sagen dazu false balance) einstellt. Es ist eine Selbstverpflichtung, eine Bringschuld, die sich der ORF durch seine Haltung letztendlich auch auferlegt hat.
Unverständlich wird es nur, wenn der moralische Kompass dann immer wieder verloren geht und die zum Standard erhobene Einordnung plötzlich fehlt.

Scharfe Gebete
Da besucht das Oberhaupt der katholischen Kirche, der Repräsentant des Heiligen Stuhls, die Spitze des Vatikanstaats den geringfügig größeren Inselstaat Malta - an sich schon ein Ereignis von schwindsüchtigem journalistischen Nachrichtenwert. Man würde also meinen, die moralische Verortung der ZIB-Redaktion läge die Maßstäbe Katar, Orbán oder Schweden an und führe zu einer entsprechenden Anmoderation eines Beitrags über den Monarchen einer Institution, die sich hunderttausender Gewalttaten gegenüber Kindern nicht nur schuldig gemacht hat, sondern diese auch vertuscht hat, eine Organisation, die Frauen explizit benachteiligt und Homosexualität verachtet. Aber es passiert nicht. Eher das Gegenteil: Jorge Bergoglio wird regelrecht abgefeiert, seine Kritik am Ukraine-Krieg wird als die "schärfste" herausgehoben - als ob der Rest der Welt nicht wesentlich vehementer in seiner Kritik wäre - und sogar als Vermittler der Kriegsparteien will sich der Papst laut ZIB angeboten haben. Auf religion.orf.at klingt Letzteres ein wenig anders - eher so als würde er nur erwägen, einer Einladung zu folgen:

Aber vielleicht ist diese, dem Papst entgegengebrachte, journalistische Milde auch einfach eine Ausnahme.

Erwartet der orf.at, dass sich die Ukraine distanziert? Wenn ja, warum?

Bleibender Eindruck
Der Redaktionen der ZIBs verlieren leider oft den Blick auf größere Zusammenhänge, tendieren dazu, Details in den Vordergrund zu rücken, die den eigenen moralischen Standpunkt befördern, vergessen aber diese Messlatte auch überall sonst anzulegen. Damit wird diese an sich schon zur Kritik einladende Auslegung einer Berichterstattung mit Haltung eines öffentlich-rechtlichen Medienhauses zum offenkundigen Selbstwiderspruch.
Aber ich bin sicher, Roland Weißmann hat das am Schirm.