Neben vielen anderen Anpassungen des Alltags führte die Pandemie - zumindest
bei uns zu Hause - auch zu einem höheren Konsum der Zeit im Bild (alle Uhrzeiten
mitgemeint). Das ist weder Selbstgeißelung noch einer großen Begeisterung
für das größte Medienhaus des Landes geschuldet, sondern mehr der Bequemlichkeit
einer ORF-TVthek, die live zeitversetzt funktioniert.
Während eine grundsätzlich solide Berichterstattung dieses Nachrichtenformats
die wesentlichen Ereignisse des Tages vermittelt, kann beim Zuhören und - sehen,
der professionelle und politische Blick auf Inhalt und Präsentation der Nachrichten
naturgemäß nicht abgestellt werden. Vieles daran ist auffällig und könnte
kommentiert werden, aber weder habe ich das systematisch festgehalten, noch
will ich daraus eine unbezahlte Studie machen. Also überbringe ich hier in
Folge nur ein paar anekdotische Evidenzen und einen Eindruck, der sich über
die letzten zwei Jahre verfestigt hat.
Mit Effet
Vor allem die Nachrichtensprecherinnen der ZiB1 (um 19.30) und ihre männlichen
Beifahrer tendieren zur passiven (nicht-expliziten) Einordnung des Geschehens
durch einen gewissen Drall in der Wortwahl gepaart mit einer selektive Überbetonung
von Sachverhalten, die gemeinhin bekannt sind, egal ob es um Kriegsverbrechen,
die Klimakatastrophe, Fakten zur Impfung etc. geht. Klassisches Framing eben.
Auch, wenn ich die meisten Zugänge als Zuseher selbst inhaltlich teile, wirkt
dieser vorauseilende Versuch einer richtigen Einordnung paternalistisch, dient
er doch vor allem dazu, den Standpunkt der Redaktion klar zu machen. Aber warum
beschwere ich mich, wenn ich es doch aus so sehe? Aus persönlicher Sicht kann
ich auf versteckte Denkanleitungen verzichten, aber das ist unerheblich; wichtiger
ist: In Summe geht der erzieherische Zug zur Akzentuierung und vorschnelle Wertungsexzess
auch zu Lasten der Information, die damit Gefahr läuft über die Konzentration
auf Einzelaspekte größere Zusammenhänge aus den Augen zu verlieren. Auch
das ist eine Form der false balance, die ja unlängst als Begriff ins Repertoire
unserer bald neun Millionen Virologinnen, Teamchefs, Militär- und Medienexperten
aufgenommen wurde.
Bekräftelse
Dass letzten Donnerstag bei einem Beitrag über das schwedische vermeintliche
"Laissez-faire-Modell" im Umgang mit der Pandemie im wesentlichen
nur eine mehr als unausgewogene und anderenorts verbratene politische Studie
herangezogen wurde, die mit tendenziösen Grafikmaterial (verglichen wurden
nur skandinavische Staaten), affirmativen Wortmeldungen und faktischen Fehlern
angefettet wurde, kann man als einfachen Fehler betrachten. Das kommt davon,
wenn einer vom anderen abschreibt und sich auf Fremdrecherchen verlässt. Es
passte aber gut zum eigenen moralischen Standpunkt und zu einem perpetuierten
Bild eines verderbten Pandemiemanagements Schwedens, das bei wesentlichen
Kennzahlen übrigens kein Ausreißer ist, sondern im europäischen Durchschnitt
liegt. Das macht zwar die aufgezeigten schwedische Versäumnisse nicht wett,
aber bringt die Frage auf, ob man sich diese moralische Strenge des ORF dann
nicht auch gegenüber anderen Ländern (insbesondere dem eigenen), Institutionen
und sich selbst erwarten darf
Katar-Kater
Letzte Woche wurde in er ZiB auch über die Auslosung der Herrenfußball-WM
in Katar berichtet bzw. eigentlich über die Kritik der Chefin des norwegischen
Fußballverbands an der Behandlung von Arbeitern und fehlenden LGBTQ-Rechten
in Katar.
Selbstverständlich ist die Präsentation dieser Werturteile notwendig und genauso
selbstverständlich wurde im folgenden ORF Sport davon nichts gesagt. Dass der
ORF die Übertragung der WM ebenso wenig in Frage stellt wie die der Olympischen
Spiele, ist wohl nicht einmal ein Gedanke wert.
Als Gatekeeper bewusst die Kritik zu singularisieren, zieht noch nicht die Pflicht
nach sich, die Ereignisse auch zu boykottieren, zumal sicher auch irgendwelche
österreichischen Masseure und Ko-Trainer bei der WM arbeiten werden, die in
den Übertragungen (wahrscheinlich laut ORF-G) erwähnt werden müssen.
Orbánalitäten
Es ist auch würdig und recht, wenn bei der Wahl in Ungarn die Politik Viktor
Orbáns im Hinblick auf liberalen Rechtsstaat und Pressefreiheit thematisiert
wird. Es ist ein unverzichtbarer Hinweis auf markante Differenzen in gesetzlich
verankerten gesellschaftlichen Werten.
Unabhängig davon, ob man diese journalistischen Fingerzeige von Wertebildern
auch selbst teilen will, muss der Seher davon ausgehen, dass die Schurkenstaaten
und ihre Vertreterinnen gemäß des Moralchromatographen in den ZiB-Redaktionen
gleich behandelt werden, auf dass sich keine Verzerrung der Wirklichkeit (Teamchefs
sagen dazu false balance) einstellt. Es ist eine Selbstverpflichtung, eine Bringschuld,
die sich der ORF durch seine Haltung letztendlich auch auferlegt hat.
Unverständlich wird es nur, wenn der moralische Kompass dann immer wieder verloren
geht und die zum Standard erhobene Einordnung plötzlich fehlt.
Scharfe Gebete
Da besucht das Oberhaupt der katholischen Kirche, der Repräsentant des Heiligen
Stuhls, die Spitze des Vatikanstaats den geringfügig größeren Inselstaat
Malta - an sich schon ein Ereignis von schwindsüchtigem journalistischen Nachrichtenwert.
Man würde also meinen, die moralische Verortung der ZIB-Redaktion läge die
Maßstäbe Katar, Orbán oder Schweden an und führe zu einer entsprechenden
Anmoderation eines Beitrags über den Monarchen einer Institution, die sich
hunderttausender Gewalttaten gegenüber Kindern nicht nur schuldig gemacht hat,
sondern diese auch vertuscht hat, eine Organisation, die Frauen explizit benachteiligt
und Homosexualität verachtet. Aber es passiert nicht. Eher das Gegenteil: Jorge
Bergoglio wird regelrecht abgefeiert, seine Kritik am Ukraine-Krieg wird als
die "schärfste" herausgehoben - als ob der Rest der Welt nicht wesentlich
vehementer in seiner Kritik wäre - und sogar als Vermittler der Kriegsparteien
will sich der Papst laut ZIB angeboten haben. Auf religion.orf.at klingt Letzteres
ein wenig anders - eher so als würde er nur erwägen, einer Einladung zu folgen:
Aber vielleicht ist diese, dem Papst entgegengebrachte, journalistische Milde
auch einfach eine Ausnahme.
Erwartet der orf.at, dass sich die Ukraine distanziert? Wenn ja, warum?
Bleibender Eindruck
Der Redaktionen der ZIBs verlieren leider oft den Blick auf größere Zusammenhänge,
tendieren dazu, Details in den Vordergrund zu rücken, die den eigenen moralischen
Standpunkt befördern, vergessen aber diese Messlatte auch überall sonst anzulegen.
Damit wird diese an sich schon zur Kritik einladende Auslegung einer Berichterstattung
mit Haltung eines öffentlich-rechtlichen Medienhauses zum offenkundigen Selbstwiderspruch.
Aber ich bin sicher, Roland Weißmann hat das am Schirm.