Reliquien

Was sind das? Wie gewohnt weiß Wikipedia das natürlich genau: "Eine Reliquie (von lateinisch reliquiae, 'Zurückgelassenes', 'Überbleibsel') ist als Gegenstand kultischer religiöser Verehrung ein irdischer Überrest der Körper oder Körperteile von Heiligen oder ein Überbleibsel des jeweiligen persönlichen Besitzes."

Hier über die Reliquien ein Text von Mag. Dr. Hilde Berger, erschienen im August 2022 auf der Site http://www.atheisten.at/ - Auszug aus dem Buch  "DAS PHÄNOMEN GLAUBE"

Reliqien - Im Christentum waren Reliquien seit jeher ein wichtiger Bestandteil des Glaubens. Reste wie Knochen, Blut, Öl, Schweiß, Haare, Zähne, Muttermilch (Marias), Tücher, Federn und Eier, die Vorhaut Christi und andere Hinterlassenschaften von göttlichen Personen bzw. Heiligen wurden als wundertätig und segensreich angesehen. Ob sie echt sein könnten oder nicht, spielte wenig Rolle. Unter manchen Altären in katholischen und orthodoxen Kirchen befinden sich bis heute Knochen oder andere Leichenteile von heiligen Personen, wobei auf den Altären die Heilige Messe gefeiert wird. Bei dieser Messe werden Fleisch und Blut eines Gottes verspeist.
Den Gläubigen scheint gar nicht aufzufallen, wie makaber das eigentlich ist. An die Wunderkraft solcher Reliquien glauben Christen bis heute. So wurde am Höhepunkt der Coronapandemie das Grabtuch von Turin ausnahmsweise gezeigt. Im Jahr 2019 pilgerten in Moskau eine Million Menschen zu einem Knochen des Heiligen Nikolaus, der in einer Kirche im Kreml gezeigt wurde.
Reliquien wurden schon im frühen Christentum verehrt. Eine wahre Reliquienflut kam aber mit den zurückkehrenden Kreuzfahrern aus dem Heiligen Land nach Europa. Trotzdem konnte man so die Nachfrage nicht befriedigen und es entstanden in Rom und anderswo Produktionsstätten für Reliquien. Reliquie in der Karmelitenkirche Linz Reliquie in der Minoritenkirche Linz

Giovanni Boccaccio (1313-1375) nahm im Decameron in der 10. Novelle den Glauben an Reliquien aufs Korn. Bruder Cipolla kam mit einer Feder des Erzengels Gabriel nach Certaldo in der Toscana, um dort die einfachen und weltfremden Bauern - Boccaccio nennt sie ausdrücklich "die Dummen" - abzukassieren. Am nächsten Morgen sollten sich die Menschen versammeln, denn Bruder Cipolla wollte diese Feder den Gläubigen präsentieren. Während aber Bruder Cipolla beim Abendessen saß, schlichen sich zwei Burschen in sein Quartier und tauschten die Feder, die eine Papageienfeder war, gegen ein paar Holzkohlen aus. Am nächsten Morgen, als Bruder Cipolla am Höhepunkt seiner Predigt den Reliqienbehälter öffnete, hielt er Holzkohlen in der Hand.
Weit davon entfernt, in Verlegenheit zu geraten, erklärte er die Kohlen für die Originalkohlen, auf denen der Heilige Laurentius einst geröstet worden war und so sein Martyrium erlitt. Gegen Entgelt zeichnete Bruder Cipolla Kreuze mit den Kohlen auf die Kleider der Gläubigen und erzielte so reiche Einnahmen.

Boccaccio schrieb die Decameron-Novellen von 1349 bis 1353, also vor rund 670 Jahren. Was hat sich seither in Glaubensdingen geändert?