Darüber berichtete die linke deutsche Tageszeitung „Junge Welt“ (ehemals das Blatt für die jungen Leute in der DDR, https://www.jungewelt.de/) am 12.9.2023, entdeckt am 14.9.:
Zahlen aus Bundesarbeitsministerium: Millionen Vollzeitbeschäftigte im
Ruhestand in Armut, verfasst von Ralf Wurzbacher
Hiobsbotschaften für aktuelle sowie kommende Rentnerinnen und Rentner setzt
es hierzulande fast schon gewohnheitsmäßig. Am Montag folgte die nächste:
Fast die Hälfte aller heute sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten
wird sich später mit monatlichen Altersbezügen von unter 1.500 Euro begnügen
müssen. Wie üblich trifft es die Menschen im Osten der Republik besonders
hart. Hier droht eine Mehrheit mit 1.300 Euro abgespeist zu werden. Geliefert
hat die Zahlen das Bundesarbeitsministerium (BMAS) auf Anfrage der Bundestagsfraktion
Die Linke. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) warnte deren
Vorsitzender Dietmar Bartsch vor »sozialem Sprengsatz«, der bei der Ampelkoalition
»alle Alarmglocken« schrillen lassen müsse. »Es reicht nicht mehr aus, an
Stellschrauben zu drehen. Wir brauchen substantielle Verbesserungen«, befand
er.
Um später staatliche Zuwendungen von 1.500 Euro zu erhalten, muss man gemäß
BMAS-Erhebung 45 Jahre 40 Stunden wöchentlich bei einem Stundenlohn von 20,78
Euro gearbeitet haben, was einem Bruttomonatsverdienst von 3.602 Euro entspricht.
Von den derzeit rund 22 Millionen Menschen in beruflicher Vollzeit erreichen
etwa 9,3 Millionen gerade so diese Grenze beziehungsweise liegen darunter. Verdient
man stündlich 18,01 Euro oder 3.122 Euro im Monat, stehen einem im Alter 1.300
Euro zu. Um auf eine Rente von 1.200 Euro zu kommen, ist nach den Berechnungen
ein Stundensatz von 16,62 Euro erforderlich oder 2.882 Euro monatlich. 36 Prozent
der Vollzeitbeschäftigten schaffen es nicht über diese Schwelle, womit sie
im Rentenalter auch offiziell unterhalb der Armutsgrenze verharren.
Die verlief im Vorjahr bei 1.250 Euro. Linderung verspricht auch die geplante
Erhöhung des Mindestlohns nicht. Mit der kläglichen Aufstockung von zwölf
auf 12,41 Euro zum 1. Januar 2024 bleibt das Instrument ein Garant für Altersarmut.
»Das ist zynisch und respektlos gegenüber Millionen Beschäftigten«, bemerkte
Bartsch und forderte eine Anhebung auf 14 Euro. Da überdies immer mehr Menschen
nicht auf 45 Arbeitsjahre kämen, werde das Verarmungsrisiko auf dem Altenteil
»weiter ansteigen«. Die von seiner Partei, Gewerkschaften und Sozialverbänden
geforderten 14 Euro ab dem kommenden Jahr wären ein »Zeichen des Respekts«,
so der Linke-Politiker. »Perspektivisch muss der Mindestlohn zu einer auskömmlichen
Rente führen.« Außerdem empfahl er, das Rentenniveau von 48 Prozent auf 53
Prozent des Durchschnittseinkommens aufzuwerten, sowie eine »schnell wirksame«
außerordentliche Anpassung von zehn Prozent oder mindestens 200 Euro im Monat.
»Handelt die Bundesregierung nicht, läuft der Countdown mit der Gefahr, dass
das Land sozial implodiert«, so Bartsch.
Nichts dergleichen kommt den Regierenden in den Sinn. Statt dessen setzt die
Ampel auf die »Aktienrente« und darauf, das in Gestalt der Riester-Rente kapital
gescheiterte private Alterssparen unter neuem Namen künftig noch mehr zu pushen.
Ferner machte CDU-Chef Friedrich Merz dieser Tage mit dem Vorstoß von sich
reden, das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln – noch so
eine Rentenkürzung durch die Hintertür. Reiner Heyse von »Seniorenaufstand«,
einem Koordinierungskreis gewerkschaftlicher Seniorenpolitiker im norddeutschen
Raum, schweben andere Maßnahmen vor. Gegenüber jW plädierte er am Montag
für Renten, die »mindestens 75 Prozent des im Arbeitsleben erzielten durchschnittlichen
Nettoeinkommens betragen«. Außerdem brauche es eine »Erwerbstätigenversicherung,
in der alle grundsätzlich gleichbehandelt werden und in der auch Beamte, Selbstständige
und Politiker organisiert sind«, sowie »Mindestrenten, die stets über der
Armutsgrenze liegen«.
Sorgen bereiten Heyse vor allem auch die zwölf Millionen Pflichtversicherten,
die nicht in Vollzeit arbeiten. »Das sind Minijobber, Teilzeitbeschäftigte,
Arbeitslose, von denen so gut wie niemand an die 1.200 Euro heranreicht.«
Sein Fazit: »Im Angesicht der weiter rasant ansteigenden Altersarmut wird
das Sozialstaatsgebot im Artikel 20 des Grundgesetzes zur zynischen, inhaltsleeren
Papiernummer.«